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Wildwasserpolka

Wildwasserpolka

Titel: Wildwasserpolka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Kuepper
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Polizei kann jeden Moment hier sein.
    Ich springe zurück in den Wagen, fahre ein Stück weiter, biege ab. Häuser. Vorgärten. Einfahrten. In einer davon parkt ein blauer Kleinwagen.
    Also gut. Nächster Versuch.
    Es dauert eine halbe Ewigkeit, bis jemand öffnet. Vor mir steht eine junge Frau mit einem tränenverschmierten Kleinkind auf dem Arm; irgendwo im Inneren des Hauses brüllt ein weiteres Kind. Man braucht kein Sherlock Holmes zu sein, um zu erraten, welche Schlachten hier ausgetragen werden: Mamas dunkle Augenringe künden von wiederholten nächtlichen Attacken, der orangefarbene Fleck auf ihrer blassrosa Bluse verrät den Beschuss mit Möhrenbrei, das Geschrei im Hintergrund deutet auf psychologische Kriegsführung hin. Viel besser als ich ist sie auch nicht dran, schießt es mir in den Sinn. Vielleicht sollten wir tauschen: Sie flieht für mich vor Polizei und Killerbiene, dafür stelle ich mich ihrem heimischen Terrorkommando.
    »Guten Tag. Ein Paket für Sie.«
    Sie lächelt tapfer. Die Garderobe neben der Tür quillt fast über, ebenso das Schuhregal. Daneben eine Batterie von Miniaturgummistiefeln, garniert mit drei Handvoll Sand und matschigen Fußabdrücken. An der Wand hängt ein Helme-Heine-Poster vom dicken Waldemar und seinen Freunden, die gemeinsam auf einer Mondsichel schaukeln. Daneben ein herzförmiges Schlüsselbrett, an dem ein einzelner Autoschlüssel hängt.
    Na also, wer sagt’s denn.
    »Ist Ihnen was angebrannt?«, frage ich besorgt.
    »Nein, warum?« In ihrem müden Blick flackert Angst auf.
    »Es riecht so«, behaupte ich und schäme mich für die kleine Gemeinheit, die ich mir hätte sparen können, denn in diesem Moment geht das Weinen des unsichtbaren Kindes in entsetzliches Gebrüll über.
    »Gehen Sie ruhig, ich warte!«, artikuliere ich zeichensprachlich, worauf die Frau dankbar nickt und mit dem Kind auf dem Arm davoneilt.
    Ich brauche den Schlüssel nur zu pflücken wie eine reife Birne. Das Paket, das ich mitgebracht habe, lasse ich im Flur stehen, gewissermaßen als Entschädigung. Vielleicht ist ein Goldbarren drin, einer, der für eine Nanny und einen Wellness-Monat in einem Luxushotel reicht.

    Ich fahre das Postauto vors nächste Haus, schnappe mir Rucksack und Mantel, eile zurück und steige in den Wagen der jungen Mutter. Ich blicke mich nicht um, schaue nicht zu den Fenstern des Hauses hinauf, steige einfach ein, starte den Motor und setze rückwärts aus der Einfahrt.
    Eine banger Blick auf die Tankuhr – gestresste Mütter sind ja gern mal ohne Sprit unterwegs –, die Anzeige steht auf drei viertel voll. Glück gehabt.
    Ich fahre einmal um den Block, zurück auf die Hauptstraße, biege in nördlicher Richtung ab, passiere den Ort und befinde mich bald auf freier Strecke. An einer Bushaltestelle schere ich aus. Ich zerre die Nummernschilder aus dem Rucksack, passe einen Moment ab, in dem die Straße frei ist, steige aus und pappe die falschen Schilder über die echten. Auch egal, wenn sie mich damit erwischen. Bei dem, was ich inzwischen auf dem Kerbholz habe, dürften gefälschte Nummernschilder die kleinste Sünde sein.
    Dann kommt der Stickertrick. Es handelt sich dabei um eine erkleckliche Auswahl an Aufklebern wie ›www.blumeninsel.de‹, ›Nagelstudio 1‹ oder ›Ich bremse auch für Tiere‹, dazu eine Reihe von Dekoelementen ohne verbale Botschaft. Die Dinger beziehe ich vorzugsweise von einem Versender, der sich durch konstant schlechte Qualität auszeichnet: Sie kleben alles andere als hartnäckig. Ein beherzter Einsatz des Daumennagels reicht, um sie abzulösen. Genau das, was ich brauche.
    Ich ziehe den schmalen Packen Folien aus der Rückentasche meines Rucksacks, wähle ein Dreieck mit der Aufschrift ›Lara an Bord‹ und ein zweites mit ›Tim an Bord‹ – und klebe sie hinter die Kindersitze auf die Heckscheibe. Gar nicht so einfach, wenn einem die Hände zittern, als litte man an Parkinson.
    Eins, zwei, drei – fertig ist das perfekte Mutter-Kind-Fluchtfahrzeug.
    Ruhe bewahren. Tief durchatmen. Entspannen.
    Die Geschwindigkeitsbegrenzungen im Blick, fahre ich weiter, schalte das Radio ein.
    »Natalie, der Jackpot steht bei 26.660 Euro. Und dieses Geld gehört dir, wenn du uns sagen kannst, was das ist. Achtung, das geheimnisvolle Geräusch!
    Wieder das merkwürdige Ploppen.
    »Nun, Natalie?«
    »Ein geköpftes Ei!«, stößt eine atemlose Frauenstimme hervor.
    Ich schalte das Radio ab, passiere die Landesgrenze, durchquere Hamm und Wissen

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