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Wildwasserpolka

Wildwasserpolka

Titel: Wildwasserpolka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Kuepper
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vielmals. Und jetzt gehst du ins Bett und ruhst dich aus. Alte Männer brauchen ihren Schlaf.«
    »Machst du Witze?«, schnaubt Herbert. »Ich bin schon seit zwei Stunden auf.«
    Nun bin ich irritiert. Draußen ist es dunkel – zumindest sind die Vorhänge zugezogen –, die Nachttischlampe brennt – und es ist sieben Uhr dreißig, wie ich jetzt bemerke. Ich habe die Nacht komplett durchgepennt! Mal wieder. Eine meiner herausragendsten Fähigkeiten ist, immer und überall schlafen zu können. Jojo Schiller, the sleeping stone.
    »Was ist denn das für eine Geschichte?«, will Herbert wissen, und ich wundere mich im Stillen, dass er nicht früher gefragt hat.
    »Nichts Aufregendes«, lüge ich. »Es geht um ein bisschen Schwarzarbeit in einer Boutiquenkette.«
    »Wenn dir plötzlich eine in die Quere kommt, die mal unter Mordverdacht stand, hört sich das nicht so harmlos an.«
    »Mach dir keine Sorgen, ich pass auf mich auf. Also nochmals danke und bis bald, Herbert! Ich muss los!« Hals über Kopf beende ich das Gespräch, weil ich meine Unaufrichtigkeit nicht länger ertrage.
    Warum zum Teufel habe ich Herbert nicht gleich auf die Sache angesetzt, damals, direkt nachdem die Kaulquappe zu mir gekommen ist? Wenn ich gewusst hätte, welchen Background diese Vanessa hat, wäre ich die Sache vermutlich vorsichtiger angegangen …
    Aber Herbert war krank, zum Kuckuck! Ich hatte nicht den Auftrag, ein Kapitalverbrechen aufzuklären, ich sollte lediglich herausfinden, mit wem ein gelangweilter Geschäftsmann in die Kiste springt, und dafür reichen in der Regel die üblichen Eckdaten: Name, Alter, Beruf, basta!
    Mehr schien in diesem Fall nicht nötig zu sein, denn es war schnell klar, dass Waskovic keine neue Ehe anstrebte, sondern einfach ein bisschen Spaß haben wollte. Alle Beteiligten waren ziemlich unverkrampft an die Sache herangegangen, ausgenommen die Gattin, natürlich. Selbst wenn Waskovic vorgehabt haben sollte, die Kaulquappe zu verlassen, wären die jungen Damen sicher nicht der Grund dafür gewesen. Für Waskovic stand klar das Vergnügen im Vordergrund, für die Damen die damit verbundenen materiellen Annehmlichkeiten – ein optimales Gleichgewicht also. Wie zum Teufel hätte ich ahnen sollen, dass diese Bunga-Bunga-Geschichte derart aus dem Ruder läuft? Woher soll man wissen, dass das Flugzeug, in das man steigt, abstürzen wird? Man kann es nicht wissen. Man kann nicht wissen, dass ein untreuer Ehemann auf einmal Mordaufträge vergibt. Doch wie sagt mein Motivationscoach Markus, der meinen Beruf über alle Maßen zu schätzen weiß, immer so schön? ›Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um.‹ Ich bin somit selbst schuld. Und was nützen mir meine Rechtfertigungsversuche schon? Ich muss zusehen, wie es weitergeht, und was Herbert mir eben über diese Vanessa Behrendt erzählt hat, gibt der Geschichte möglicherweise eine neue Wendung.
    Plötzlich fühle ich mich wie elektrisiert. Mich treibt das unbestimmte Gefühl, endlich einen Faden gefunden zu haben, den Anfang dieses verworrenen Wollknäuels, in das ich mich derart heillos verheddert habe.

    Keine fünf Minuten später stehe ich am Frühstücksbuffet. Ich belade mein Tablett mit Kaffee, Müsli, Vollkornbrötchen, Butter, Ei und Joghurt und wähle einen Ecktisch, an dem ich das Geschehen im Blick habe.
    Die Anzahl der Gäste ist überschaubar: ein älteres Ehepaar, das mir gestern Abend bereits über den Weg gelaufen ist, ein junger Mann im Anzug, Marke ›Handelsvertreter‹. Zwei weitere Männer in Trikots und Radlerhosen, die mit dem Frühstück fertig sind und gerade den Raum verlassen.
    Ich stehe noch einmal auf und hole zwei Töpfchen Nussnugatcreme, das dritte schiebe ich mir in den Ärmel. Herbert klang völlig normal, überlege ich, während ich mein Frühstücksei köpfe und das weiche Eigelb auf die gebutterte Brötchenhälfte fließen lasse. Wenn er etwas über die Geschichte wüsste, hätte er damit nicht hinterm Berg gehalten. Nein, sicher ist ihm nichts von einer Fahndung oder einem Haftbefehl gegen mich zu Ohren gekommen.
    Oder weiß er einfach nur noch nichts davon? Ach was! Schlechte Nachrichten sprechen sich immer zuerst rum, und Herbert hat gute Ohren – für das, was ihn interessiert, zumindest. Und für Katastrophen aller Art ist er grundsätzlich zu haben. Allzu hochgekocht kann die Angelegenheit also bisher nicht sein, zumindest hat niemand meinen Steckbrief in die Schaufenster geklebt. Vielleicht hat Waskovic nur

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