Wildwasserpolka
Nachttisch.
Ein schneller Blick auf das Display: Nein, es ist nicht Waskovic, wie ich einigermaßen beruhigt feststelle. Es ist nur Herbert.
»Habe ich dich geweckt?«, trompetet er mir ins Ohr.
»Ja, ich war schon eingeschlafen«, murmele ich.
»Du hast Glück, die Nachtschicht war günstig besetzt«, erklärt er gut gelaunt.
»Prima.« Ich setze mich auf und reibe mir den Schlaf aus den Augen. »Kleinen Moment, ich brauche nur etwas zum Schreiben.« Schnell habe ich Papier und Stift parat. »Schieß los!«
»Der Mini ist zugelassen auf diese gewisse Vanessa Behrendt, Baujahr 1986.«
»Wer, die Frau oder der Mini?«
»Die Frau natürlich. Oder wolltest du ihr Auto kaufen?«, spottet Herbert.
Bis vor Kurzem fuhr Vanessa Behrendt einen alten Ford K, wie ich weiß. Die Meldeadresse in Bonn Tannenbusch, die Herbert mir durchgibt, ist mir ebenfalls bekannt. Der Vater sei Holländer, erklärt er, Vanessa sei jedoch unehelich geboren, die Mutter, eine Bonnerin, habe sie allein großgezogen. Sporadischen Kontakt zum Vater habe es wohl gegeben.
»Seit drei Tagen ist die Dame Besitzerin eines Apartments im Minoritenviertel«, fährt Herbert fort.
»Du meinst das Siegburger Minoritenviertel?«, frage ich ungläubig.
»Exakt.«
Sofort sehe ich ihn vor mir, jenen superschicken Neubaukomplex in einer der besten Lagen der Stadt. Vor ungefähr vier Wochen, kurz nachdem ich meine Arbeit im Falle Waskovic aufgenommen habe, bin ich Vanessa Behrendt einmal dorthin gefolgt. An der Ecke Theodor-Heuss-Straße hat sie sich mit einem Mann getroffen, mit dem sie anschließend in dem Gebäude verschwunden ist. Sie hat einen kurzen, sehr kurzen Rock getragen, dazu einen Blazer mit Schößchen und meterhohe Stöckel. Das Haar hat sie streng zurückgekämmt gehabt und zu einem Dutt frisiert. Auch der Mann ist gut gekleidet gewesen, ich habe ihn für einen der Apartmentbesitzer gehalten.
Nach einer halben Stunde ist Vanessa Behrendt wieder aus dem Haus gekommen – allein. Waskovic war offensichtlich nicht der Einzige, mit dem sie sich vergnügte, habe ich damals angenommen. Und noch am selben Abend hat sie eine Verabredung mit einem weiteren Mann gehabt, diesmal allerdings mit einem vom Typ Krawallhosenträger. Einem, der seinen schweinsnasigen Bullterrier im Restaurant mit Antipastihäppchen gefüttert hat. Die Dame schien auf Abwechslung zu stehen. Eine reine Geschäftsbeziehung? Ich habe diese Hypothese verworfen, als besagter Typ in dem Restaurant anfing, ihr das Ohrläppchen zu lecken. Und auch später habe ich die beiden zusammen gesehen.
Vielleicht ist er ihr Freund, vielleicht hat sie ihn für irgendwelche Schandtaten angeheuert. Oder beides. Möglicherweise ist der Mann im Minoritenviertel wirklich ein Makler gewesen und sie hat an jenem Morgen tatsächlich einfach die Wohnung besichtigt und sich anschließend zum Kauf entschlossen.
»Bist du noch auf Funk?«, will Herbert wissen. »Das Beste kommt nämlich erst.«
Noch bessere Neuigkeiten? Ich halt’s kaum aus.
»Na, dann raus damit!«
Im Jahr 2010 sei die Dame in eine ziemlich unschöne Sache verwickelt gewesen, erfahre ich. Ein Kölner Geschäftsmann wurde auf dem Gelände einer leer stehenden Fabrik tot aufgefunden. Man hat ihn in seinem Wagen erschossen.
»Donnerwetter!«, staune ich.
»Der Typ hieß Erkan Demer«, erklärt Herbert, »ist mit einem türkischen Reiseunternehmen reich geworden. Diese Behrendt soll was mit ihm gehabt haben. Er war verheiratet, aber nicht mit ihr, eine außereheliche Affäre, nennt sich das wohl. Jedenfalls gehörte sie eine Weile zum engeren Kreis der Verdächtigen, man konnte ihr allerdings nichts nachweisen, sie hatte ein Alibi.«
»Und?«
»Nichts und. Ende der Geschichte.«
»Was ist mit dem Täter? Hat man ihn geschnappt?«
»Ja und nein. Am Tatort haben sie DNA-Spuren gefunden, die mit einem ähnlich gelagerten Fall in Groningen identisch waren. Vermutlich eine Mafiageschichte.«
»Wenn’s ein Türke ist und sie nicht weiter wissen, sagen sie immer, es war eine Mafiageschichte«, wende ich ein.
»Geschnappt haben sie bis heute jedenfalls niemanden«, fährt Herbert fort. »Mehr kann ich auf die Schnelle nicht sagen.«
»Und Vanessa Behrendt?«
»Ist seitdem nicht wieder auffällig geworden.«
Nein, das ist sie tatsächlich nicht. Vor allem ist sie nie straffällig geworden, sonst hätte ich davon gewusst. An ihr bleibt offenbar nichts haften – eine Teflonfrau.
»Herbert, du bist der Größte. Ich danke dir
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