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Wildwasserpolka

Wildwasserpolka

Titel: Wildwasserpolka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Kuepper
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Stollenschachts tritt mir plötzlich der Tod entgegen, ein Dämon mit Waskovic’schem Grinsen. Ich schließe entsetzt die Augen. Keine telepathische Verbindung zu meinen Liebsten, keine pathetischen Abschiedsgedanken in diesen letzten Sekunden, nur Angst. Banale, nackte, stinkende Angst.
    Doch es fällt kein Schuss. Nur Schritte. Schritte, die sich entfernen, immer weiter.
    Sie gehen. Das Tribunal zieht sich zurück.
    Die Furcht will nur langsam weichen. Ich öffne die Augen wieder und mein Blick fällt unweigerlich auf die tote Galina. Womöglich hat sie gewusst, dass ihr Mann mich nicht verschonen würde. Wie hat Waskovic eben noch gesagt? ›Die Gute hatte dich ins Herz geschlossen, wusstest du das? Sie hat mir extra aufgetragen, dich in Ruhe zu lassen.‹ Galina dürfte wohl vermutet haben, dass Waskovic sich nicht um ihre Bitte scheren würde, und als sie erfuhr, dass ich mich auf der Flucht befinde, dass man mir die Morde anhängt, die ich verhindern wollte, hat sie mir vielleicht helfen wollen. Womöglich hatte sie sich entschlossen, mit mir zur Polizei zu gehen und gegen ihren Mann auszusagen … und deshalb musste sie sterben … Mir wird speiübel und ich muss mich setzen, auf den nassen, kalten, harten Boden. Sie ist tot, du kannst nichts mehr tun. Aber du lebst, also sieh zu, dass du hier herauskommst, hämmert es durch meinen Kopf.
    »Gute Nacht!« Waskovics Stimme wird von den Felsmassen geschluckt. Was bei mir ankommt, ist kaum mehr als ein dumpfes Flüstern. Und im nächsten Moment geht das Licht aus.

    Dunkelheit, absolut und undurchdringlich, als wäre ich kopfüber in ein Tintenfass getaucht. Wenige Augenblicke später ein Rums, eine schwere Tür, die geschlossen wird.
    Sie haben mich eingesperrt! Die Luft scheint plötzlich dünn wie Äther. Ich springe auf, ringe nach Atem. Hektisch taste ich nach meiner Taschenlampe, schalte sie ein. Ein Lichtstrahl blitzt auf. Gott sei Dank, ich kann wieder sehen. Nichts wie weg hier.
    Wenn Waskovic sich die Schlüssel zur Grube beschaffen konnte, hat Galina eventuell auch welche, überlege ich. Schließlich war sie es, die mich hierher bestellt hat. Nicht unbedingt wahrscheinlich, doch in meiner Lage sollte ich nichts unversucht lassen. Ich trete nah an sie heran, schiebe meine Hand in ihre Manteltasche, nichts. Ich trete um den Hunt herum, schiebe die Hand in die andere Tasche, ertaste tatsächlich einen Schlüsselbund. Gewöhnliche Haus- und Autoschlüssel, wie es aussieht, einer für die Grube scheint nicht dabei zu sein. Trotzdem stecke ich das kleine Lederetui ein.
    Ich werfe einen letzten Blick auf die Tote, sage ihr stumm Lebewohl und mache mich auf den Weg in Richtung Grubenausgang. Nach wenigen Schritten versagt die Taschenlampe plötzlich ihren Dienst. Wieder Dunkelheit, schwärzer als eine Winternacht am Nordpol. Hilfe! Ich schüttele die Lampe, drehe an der Verschraubung, nichts. Ich greife nach meinem Notfallhandy, will die Tastensperre lösen, um die Displaybeleuchtung zu aktivieren. Kein Licht. Der Akku: Erst heute Morgen habe ich ihn noch geladen … Ich schlage das Handy in meine offene Hand, nichts. Der Akku ist leer.
    Ich kann mein Pech kaum fassen. Mein Smartphone, meine Mag-Lite, mein Nachtsichtgerät, mein Wagen: Was davon nicht gestohlen wurde, musste ich zurücklassen oder eintauschen gegen eine Taschenlampe, die nicht funktioniert, eine Waffe, die nicht schießt, ein Handy, das den Geist aufgegeben hat, und ein Auto, das seit Monaten nicht gewartet wurde. Wen würde da nicht die schiere Verzweiflung packen.
    Blind, mit ausgestreckten Armen taste ich mich vorwärts, weiß allerdings schon nach wenigen Schritten nicht mehr sicher, ob ich mich in die richtige Richtung bewege oder noch tiefer in diesen Höllenschlund hineingesogen werde. Ich spüre den Schotter unter meinen Schuhsohlen, trete in Pfützen, stolpere über Gleise und knalle mit dem Kopf gegen die Felswand, lande bäuchlings auf dem Boden. Hinter der Stirn ein dröhnender, pochender Schmerz, als wäre ich von einem Hammer getroffen worden. Es dauert eine Weile, bis ich in der Lage bin, mich aufzusetzen. Ich lehne mich mit dem Rücken gegen die kalte Wand, winkle die Knie an, taste vorsichtig über meine aufgeschürfte Stirn. Etwas Feuchtes, Warmes bleibt an den Fingerspitzen kleben.
    Ich werde sterben.
    Auf dem eiskalten Boden hockend, inmitten dieser rabenschwarzen Finsternis, überwältigt mich das sichere Gefühl, diesen Stollen nie mehr zu verlassen.
    Bald wird mich

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