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Wildwasserpolka

Wildwasserpolka

Titel: Wildwasserpolka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Kuepper
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dreckverschmiert, wie ich bin. Als wäre ich im nahen Wald einer Horde Räuber zum Opfer gefallen. Gut, dass im Wagen trockene Wechselsachen auf mich warten.

    Ich biege in eine Seitenstraße ein, erreiche bald den Friedhof am Rand des Dorfes – und traue meinen Augen nicht: der Parkstreifen ist leer. Mein Wagen ist weg!
    Am Eingang zum Friedhof liegt ein dunkler, kompakter Gegenstand: Es ist mein Rucksack. Sofort stürze ich mich darauf und schaue nach, ob sie ihn durchsucht oder Dinge herausgenommen haben, doch es scheint alles da zu sein, soweit ich es auf den ersten Blick erkennen kann.
    Reichte es den Schweinen nicht, mich mit einer Leiche in eine stockfinstere Grube zu sperren? Mussten sie auch noch meinen Wagen nehmen? Ich hätte nicht übel Lust, ein paar Grabsteine auszureißen, so sehr packt mich der Zorn. Ich sollte endlich aufhören, mir die Sinnfrage zu stellen, sage ich mir. Waskovics Devise ist offenbar: Was geht, wird gemacht. Je bösartiger, desto besser.
    Nein, Waskovic tut nichts ohne Grund. Warum hat er mir den Rucksack gelassen? Damit ich mir etwas Sauberes anziehen kann? Wohl eher, um mir einen neuen Sender unterzujubeln. Aber er kennt doch meinen Aufenthaltsort. Und er weiß, dass ich bald am Ende bin. Genau, das ist es: Er hat meine Beweglichkeit eingeschränkt, damit dieses Ende schneller kommt. Damit ich geschnappt werde.
    Und mein Auto? Ernie traue ich nicht recht zu, dass er auf die Schnelle einen Wagen knackt, der Sprintkreismeister hingegen scheint ein kriminelles Allroundtalent zu sein. Womöglich ist er es auch, der Müller und die Kaulquappe auf dem Gewissen hat. Stopp! Ich will sie nicht weiter Kaulquappe nennen, der Tod fordert Respekt. Galina. Vermutlich hat der Kreismeister Galina auf dem Gewissen.
    Ich schultere meinen Rucksack und wandere in Richtung Dorf, schleiche um die Häuser wie ein Dieb und hoffe, dass mein Zähneklappern die Leute nicht aus dem Schlaf reißt. Ich brauche ein Dach überm Kopf, ich brauche Strom, um meinen Akku aufzuladen, ich brauche ein Bett, oder zumindest etwas, das dem nahekommt. Wasser wäre ebenfalls nicht schlecht, heißes Wasser wäre der größte Luxus auf Erden.
    Vorsichtig steige ich über Zäune, schleiche um Garagen herum, drücke Klinken von Kellereingängen herunter: nichts. Bewegungsmelder werden ausgelöst, Hunde schlagen an; bald habe ich die Sache ausgereizt, sonst schickt mir jemand die Polizei auf dem Hals.
    Als ich fast schon aufgeben will, entdecke ich eine unverschlossene Gartenlaube. Mit dem Feuerzeug, das ich in der Grube schmerzlich vermisst habe, leuchte ich vorsichtig in das Innere, verbrenne mir die Finger. Ich sehe Gartengeräte, Blumentöpfe, einen Rasenmäher, einen Werkzeugschrank, eine kleine Werkbank. Auf der Werkbank liegt ein Schleifgerät. Ein Elektrogerät … Hier gibt es Strom!
    Ich warte einen Moment, bis der Schmerz an meinem Daumen nachgelassen hat, lasse nochmals das Feuerzeug aufflammen und entdecke gleich neben der Eingangstür, unterhalb des Lichtschalters, eine Steckdose. Rasch das Ladekabel eingesteckt und in das Handy eingestöpselt – das Display leuchtet auf. Es funktioniert!
    Fehlt nur noch die heiße Badewanne, aber diesen Wunsch muss ich mir wohl für später aufheben.
    Ich krame meine Wechselwäsche aus dem Rucksack, ziehe mich um und hänge meine nassen Sachen zum Trocknen auf. In einer Ecke finde ich ein zusammengerolltes Kokosvlies, wie man es als Frostschutz für Pflanzen verwendet. Was für Pflanzen gut ist, kann für Menschen nicht verkehrt sein, denke ich und ziehe auch noch eine zusammengefaltete Plane aus dem Regal. Ich mache es mir auf zwei Säcken Blumenerde bequem, stopfe mir ein Paar dicke Gartenhandschuhe als Polsterung in den Rücken und breite das Kokosvlies in mehreren Lagen über mich aus. Anschließend ziehe ich die Plane darüber wie ein kleines Zelt. Ich schlinge einen Müsliriegel und einen Salamisnack herunter, ruckele noch ein paarmal hin und her, bis ich eine halbwegs angenehme Position gefunden habe, schließe die Augen und bin keine zwei Minuten später eingeschlafen.

    Als ich aufwache, ist der neue Tag nicht mehr weit. Grau in grau zeichnen sich die Konturen der Gegenstände, die der Schuppen beherbergt, gegen die rauen Bretterwände ab. Mein erster Griff gilt dem Handy, dessen Akku nun wieder einsatzbereit ist. Viertel nach sieben.
    Herbert hat angerufen.
    Ich werfe einen Blick aus dem kleinen Fenster neben der Tür, vergewissere mich, dass ich noch ungestört bin,

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