Wildwasserpolka
die Tasche stecke.
Damit erst gar keine Missverständnisse aufkommen können, falls ich bald irgendwo tot überm Zaun hänge.
Ich habe nicht gewusst, dass Denise neuerdings nachts irgendwo Wachdienst schiebt. Wahrscheinlich hat sie nur mit Herbert darüber gesprochen. Halt, falsch! Sie wird es mir erzählt haben, aber bestimmt habe ich ihr nicht zugehört. Das wäre typisch für mich. Fakt ist, dass ich mich nicht um meine Leute kümmere. Als Merle zur Welt kam, habe ich Denise nicht einmal im Krankenhaus besucht. Sorry, dringende Angelegenheiten! Als ich irgendwann bei ihr zu Hause aufgekreuzt bin, war dem Baby der rosa Strampler, den ich mitgebracht hatte, schon zu klein. Vermutlich reagiere ich deshalb so allergisch auf Denises Mutterglück, weil sie eigentlich die Rabenmutter von uns beiden sein müsste. Denise, der feminine Prototyp für einen unsoliden Lebenswandel. Ihren Eric hat sie irgendwo in einer Kneipe aufgelesen, ein One-Night-Stand, wie beide dachten. Dann diese Schwangerschaft, die ungefähr so geplant war wie ein Schnupfen. Sie hätte diejenige sein müssen, die mit ihrer Rolle als werdende Mutter nicht zurechtkommt. Doch weit gefehlt.
Ganz anders das Ehepaar Schiller, das irgendwann beschloss, jetzt müsste ein Kind her und dachte, der Entschluss würde reichen, um eins vom Himmel fallen zu lassen. Aber das tat es nicht. Lange, lange, lange nicht. Und als es endlich so weit war, habe ich schlappgemacht – genau an dem Punkt, an dem es ernst wurde. An dem Punkt, an dem Denise durchstartete. Und wir in puncto Lebenswandel die Rollen tauschten.
Natürlich ist das alles kein Grund, Denise ihr Glück zu missgönnen. Und falls ich es doch täte, müsste man meinen, mein Umgang mit Herbert sähe anders aus. Der hat schließlich kein Kind gekriegt, sondern bloß einen Bandscheibenvorfall. Aber nichts da: Nur ein einziges Mal, nachdem er krank wurde, bin ich bei ihm gewesen, habe eine Viertelstunde auf seiner Couch gesessen und die Tafel Schokolade in mich hineingestopft, die ich ihm mitgebracht hatte.
Nein, ich kümmere mich nicht um meine Leute, das wird mir jetzt klar. Halt, wieder falsch: Klar war es mir schon immer, ich habe nur nie darüber nachgedacht.
Es hat mich nicht interessiert. Aber für Reue ist es nun zu spät, und für Selbstmitleid erst recht.
24
Zum Reiten gehört mehr als ein Paar Stiefel.
Sprichwort
Ich trete noch einmal an die Brüstung der Aussichtsplattform, lasse den Blick über das Wasser schweifen, zur Uferpromenade und in Richtung Brücke.
Sofort fällt mir das strahlende Blau ins Auge, das in scharfem Kontrast zur unmittelbaren Umgebung steht.
Der himmelblaue Schlumpfpulli. Und drin steckt Vanessa. Diesmal ist sie nicht allein: Sie hat die Krawallhose an ihrer Seite, an deren Knie sich wiederum der gelbe Bullterrier herumdrückt. Verdammt!
In dem Augenblick, in dem ich auf sie herabschaue, hebt Vanessa den Kopf – und entdeckt mich.
Woher, zum Teufel, weiß diese Frau schon wieder, wo ich bin, frage ich mich verzweifelt, während ich die Stufen zur Aussichtsplattform hinunterspringe. Hat sie noch immer einen heißen Draht zum heiligen Christophorus? Selbst wenn sie den hat, was nützt ihr das Mikro in Waskovics Wagen, da er gar nicht mehr wissen kann, wo ich mich aufhalte? Mein Mondeo ist weg, ebenso mein alter Rucksack, meine Schuhe, meine Kleidung: Da ist nichts, mit dem sie mich orten könnten! Doch die Problemanalyse muss ich auf später vertagen, die Krawallhose hat fast den Steg erreicht. Wenn sie ihren Bullterrier auf mich hetzt, bin ich geliefert. Ich spüre schon regelrecht, wie sich dessen Reißzähne in meine Waden schlagen.
Hier oben bin ich ziemlich in die Enge getrieben: Hinter mir die Klippen über dem Fluss, links der Vorplatz des ehemaligen Kabelwerks Elmore’s, ebenfalls eine Sackgasse, rechts der sumpfige Altarm der Sieg. Bleibt nur die Straße hoch auf dem Wall, die vom Kabelwerk in weitläufigem Bogen in Richtung Ortsmitte führt.
Ich renne den von Bäumen gesäumten Weg entlang, direkt auf die Straße zu, sehe, dass Vanessa und die Krawallhose bereits das Gelände unterhalb der Plattform erreicht haben. Ich stoße auf die Straße, renne weiter, im Bogen um den Altarm der Sieg herum, verfluche den Beerdigungsmantel, der bei jedem Schritt meine Oberschenkel einzuwickeln versucht. Meine Verfolger holen auf.
Ich erreiche die Unterführung der Bahngleise, hetze in Richtung Dorfmitte, wende mich nach rechts, zum Bahnhof. Unmöglich, dass
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