Wildwasserpolka
Stichwort. »Einen blauen Ford Focus. Hast du was zu schreiben?« Sie gibt mir das Kennzeichen durch. Ein Mietwagen, reserviert für drei Tage, danach muss ich verlängern.
»Ich fahr schnell zu Hause vorbei, die Babyschale holen, dann kann ich dir die Gurke vorbeibringen«, schlägt Denise vor. »Musst mir nur sagen, wohin.«
Darüber habe ich natürlich bereits nachgedacht.
»Nach Windeck-Schladern«, erkläre ich. »Ich schätze, für die Strecke brauchst du 40 bis 50 Minuten. Im Ort fährst du direkt auf den Bahnhof zu, ein riesiges, rotes Gebäude, das man von der Schnellstraße aus sieht. Neben dem Bahnhof ist ein Parkplatz, dort stellt du den Wagen ab und versteckst den Schlüssel in der Innenfelge des rechten Vorderreifens. Dann brauchst du nur noch in den nächsten Zug zu steigen. Die Verbindung ist sehr gut. Besser, wir begegnen uns gar nicht erst. Ich komme den Wagen später holen.«
»Geht in Ordnung«, meint Denise. »Also düsen wir los, Merle, was meinst du?«
»Sag mal …« Die Frage kostet mich einige Überwindung. »War die Polizei eigentlich bei dir?«
»Ja.« Denises knappe Antwort fährt mir wie ein Stromschlag durch die Glieder. »Ich habe es allerdings vorgezogen, nicht zu Hause zu sein«, setzt sie hinzu. »Und ich denke, es ist besser, wenn du mich ab sofort nicht mehr auf meinem Handy anrufst. Auch nicht auf dem Festnetz, für alle Fälle.«
Schweigen.
»Du weißt Bescheid?«
»Ja.« Sie zieht das J in die Länge und schmettert das a hinterher.
Ich frage mich, ob sie tatsächlich alles weiß, da sie die Sache so locker angeht. Allerdings ist sie eine fabelhafte Schauspielerin, wenn sie es drauf anlegt, genau darin liegt ja ihr Geschick bei Observationen.
»Das mit der Polizei war vor 20 Minuten«, teilt sie mir ungefragt mit. »Und vor einer guten Stunde habe ich mit unserem Krüppel telefoniert.«
Herbert. Er hat also ausgepackt. Oder zumindest erzählt, dass ich in der Klemme stecke. »Denise … Egal, was da bei euch ankommt, was die Polizei behaupten wird, ich …«
»Schschsch«, unterbricht sie mich.
»Wenn Herbert nicht so krank wäre, hätte ich dich in die Sache gar nicht erst reingezogen. Dann hätte er das mit dem Wagen regeln können, und ich …«
»Stopp, Jojo!«, fällt sie mir ins Wort. »Du hast mich gebeten, dich bei einer Observation zu unterstützen, nicht mehr und nicht weniger. Für diesen Auftrag werde ich dir eine Rechnung stellen wie üblich, aber ich habe keine Ahnung, worum es geht und die muss ich auch nicht haben, weil du an dem Fall dran bist, nicht ich, okay?«
Sicher ist das okay. Es ist schlau. In solchen Dingen ist Denise immer schlau, schlauer als ich. Doch da ist dieses brennende Verlangen, mich zu rechtfertigen, mich von jeder Schuld reinzuwaschen.
»Wenn du Hilfe brauchst, ruf mich bei Oma Gerda an«, meint Denise. »Ich werde ab jetzt jeden Tag bei ihr vorbeigehen, immer zwischen sechs und sieben Uhr, bevor ich zur Schicht muss.«
»Schicht? Zu welcher Schicht?«
»Na, zum Wachdienst eben, habe ich doch erzählt. Von den paar Mücken, die du mir alle Jubeljahre rüberwachsen lässt, können wir schließlich nicht leben. Oder was meinst du, Merle?«
»Herrje! Ich hätte dich nicht bitten dürfen, den Wagen auf deinen Namen zu mieten«, erkläre ich reumütig.
»Ich habe keinen Wagen auf meinen Namen gemietet«, widerspricht Denise.
»Hast du nicht?«
»Nein, habe ich nicht. Wozu hat man eine dämliche Schwester? Zu irgendwas muss die ja gut sein.«
Auch das noch. Jetzt hängt die komplette Familie Feldmann mit drin: Das Baby wird in meinem zukünftigen Fluchtfahrzeug herumkutschiert, Oma Gerda ist Eigentümerin meines Handys, und schließlich haben wir da noch diese Schwester, die ich nicht einmal kenne, auf deren Namen der Wagen gemietet ist. Dass wir uns nicht kennen, könnte allerdings ein Vorteil für uns beide sein.
Ich beende das Telefonat und starre eine Weile geistesabwesend vor mich hin. Mir ist alles andere als wohl dabei, Denise in die Sache reingezogen zu haben, aber ich weiß mir nicht mehr anders zu helfen. Wenn ich geschnappt werde, sage ich selbstverständlich aus, dass Denise von allem nichts gewusst hat, dass ich ihr nur telefonisch den Auftrag zur Vorbereitung einer Observation erteilt habe, ohne sie in Kenntnis darüber zu setzen, worum es eigentlich ging. Ganz, wie sie es gesagt hat. Ich überlege sogar, ob ich das alles schriftlich festhalten soll, hier und jetzt, notfalls auf einem Zettel, den ich mir in
Weitere Kostenlose Bücher