Wildwasserpolka
den Vorderhuf eines der Pferde ins Visier.
Ich überlege gerade, wie ich dem Grüppchen am besten ausweichen kann, als ein großer grauer Hund auf mich zugesprungen kommt und mich stellt. Sofort ruft ihn eine der Frauen zurück; das Tier gehorcht aufs Wort, doch es hilft nichts, sie haben mich entdeckt. Wenn ich jetzt durchs Unterholz flüchte, mache ich mich ziemlich verdächtig, weshalb ich die Flucht nach vorn antrete und die Wanderin mime. Festen Schrittes gehe ich auf die Gruppe zu, als ob nichts sei, doch als ich fast auf ihrer Höhe bin, gellt hinter mir ein Pfiff.
»Da ist sie!«
Die Stimme kommt mir reichlich bekannt vor, und im nächsten Moment sehe ich sie: Vanessa. Sie steht in etwa hundert Metern Entfernung auf dem Waldweg und deutet auf mich.
Meine Verfolgerin muss aus einer anderen Richtung gekommen sein, von der aus die Stelle, an der wir uns jetzt befinden, wesentlich schneller zu erreichen ist. Statt auf direktem Wege bin ich ihr sozusagen in großem Bogen in die Arme gelaufen.
Eine Männerstimme schallt durch den Wald, und ich brauche nicht zu raten, wem sie gehört. Es kann nur eine Frage von Sekunden sein, bis auch die Krawallhose hier auftaucht. Die beiden haben sich vermutlich nicht diese mörderische Steigung hochquälen müssen, und im Gegensatz zu mir haben sie die letzte Nacht in einem anständigen Bett verbracht. Sie sind zweifellos frischer und ausgeruhter als ich. Zu Fuß habe ich keine Chance, ihnen zu entkommen, also bleibt mir keine andere Wahl. Ich zerre die PB aus meinem Gürtel und ziele auf eine der Reiterinnen, die mit einem Aufschrei zurückweicht.
»Es geschieht Ihnen nichts«, sage ich ruhig, während ich ihr die Gerte aus der Hand nehme. »Ich brauche nur ein Pferd.«
›Ich brauche nur ein Pferd.‹ Leicht gesagt. Meine letzte Reitstunde hatte ich mit elf Jahren, auf einem zierlichen Welsh-Pony, das hier sind allerdings weder Ponys noch Pferde, es sind Kolosse. Das kleinste von ihnen bringt es auf ein geschätztes Stockmaß von einem Meter siebzig, und es ist ausgerechnet das Tier, das offenbar ein Hufleiden hat. Unmittelbar neben ihm steht ein Grauschimmel, der noch um einiges voluminöser wirkt. Er hat seinen mächtigen Kopf in meine Richtung gedreht und sieht mich neugierig an – Liebe auf den ersten Blick, würde ich sagen. Entschlossen trete ich auf ihn zu, doch als ich ihn am Zügel fassen will, springt eine junge Frau mit blonder Lockenmähne dazwischen. Es ist eine der beiden Frauen, die gerade eben den bratpfannengroßen Huf des kleineren Braunen begutachtet haben.
»Joki bleibt hier!«, sagt sie mit fester Stimme, und ihr Mut verdient allen Respekt. Trotzdem hole ich aus und versetze ihr einen heftigen Schlag mit der Gerte, der mich fast ebenso schmerzt wie sie. Bereit, nochmals zuzuschlagen, hebe ich den Arm, und die blonde Amazone weicht endlich zurück. Ich bin sofort bei dem Grauschimmel und springe auf – oder habe das zumindest vor, aber niemand springt aus dem Stand auf einen zwei Meter großen Joki. Wild entschlossen zerre ich ihn zu einem nahen Baumstumpf, um von dort aus mein Glück zu versuchen. Vanessa und die Krawallhose sind nur noch wenige Meter entfernt. Geschafft! Endlich bin ich bin oben – und habe das Gefühl, auf einem Elefanten zu sitzen. Jokis Rücken ist breit wie ein Doppelbett, und seine Reiterin muss ein gutes Stück größer gewesen sein als ich, denn ich hangele vergeblich nach den Steigbügeln. Dann eben ohne. Reiten ist wie Fahrradfahren, man verlernt es nie – das hoffe ich zumindest und treibe dem Tier meine Hacken in die Rippen. Nichts geschieht. Die Krawallhose ist fast bei mir.
»Stehen bleiben!«, brülle ich, die Waffe im Anschlag, und komme mir vor wie Buffalo Bill. Fehlt nur noch, dass sich Joki dekorativ dazu aufbäumt, aber das tut er glücklicherweise nicht, ebenso wenig, wie die Krawallhose sich von meiner Pistole beeindrucken lässt. Wahrscheinlich weiß der Typ von Vanessa, um welche Waffe es sich handelt, und vermutlich wird er sie sogar beschafft haben. Folglich weiß er um ihre Qualitäten – und braucht sie nicht zu fürchten.
Fünf Meter. Der gelbe Bullterrier folgt seinem Herrn auf dem Fuß.
Ich entsichere demonstrativ die Pistole – was ich zuvor nicht getan habe, wie mir jetzt einfällt. Es war schließlich nicht meine ernsthafte Absicht, auf die Reiterinnen zu schießen.
Drei Meter.
Die Krawallhose verlangsamt ihr Tempo, um nicht in mein Pferd hineinzurennen.
»Stehen bleiben!«, brülle ich
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