Wildwasserpolka
nochmals, während der Bullterrier zum Sprung ansetzt. Ich richte die PB auf ihn, ziele – und drücke ab. Es folgt ein Knall wie ein Kanonenschlag; das Ding hat tatsächlich geschossen! Keine Ahnung, wen es in diesem Moment am meisten erschreckt: die Frauen, die Pferde, den Bullterrier, die Krawallhose oder mich.
Schalldämpfer hin oder her: Was bleibt, reicht aus, um die Welt aus den Fugen geraten zu lassen. Um mich her ein Stampfen, Stieben, Schreien, das ich um ein Haar vom Boden aus weiterverfolge, denn Joki hat einen gewaltigen Satz getan, um hiernach unvermittelt die Beine in den Boden zu stemmen. Nun steht er da wie ein Fels in der Brandung, während um uns herum das Inferno tobt.
»Los, Joki!«, feuere ich ihn an, trotzdem rührt er sich nicht. Sorry, mein Freund, aber hier geht’s um Leben und Tod, entschuldige ich mich in Gedanken bei ihm, ehe ich ihm die Fersen in die Rippen ramme und eins mit der Gerte überziehe. Noch eins. Und noch eins. Endlich setzt er sich in Bewegung, und wir nehmen Fahrt auf. Ziemlich viel Fahrt. Mit einer Hand kralle ich mich in die Mähne, mit der anderen halte ich mich am Sattel fest, während wir davongaloppieren. Nie hätte ich gedacht, dass ein solches Schwergewicht derart leichtfüßig sein kann. Wir fliegen dahin, den Waldweg entlang, durch dichten Nadelwald. Als mein Schlachtross zum Sprung über einen gestürzten Baumstamm ansetzt, ist es, als würden wir abheben, geradewegs in den Himmel. Ein Wunder, dass ich mich halten kann.
Es geht weiter bergauf, was dem Tier allerdings nicht das Geringste auszumachen scheint. »Ruhig, Joki, ruhig!«, schreie ich gegen den schneidenden Wind an, wohl wissend, dass ich nicht die geringste Chance habe, Joki irgendwie zu steuern, doch allmählich verringert er von sich aus das Tempo. Wie ein gigantisches Schwungrad, das einmal in Gang gekommen ist, walzt er jetzt vorwärts, in einem schweren, rollenden Galopp, einer Route folgend, die er allein kennt. Auf einmal geht es bergab, und Joki fällt in einen Trab, der mich ordentlich durchschüttelt. Ohne Steigbügel habe ich alle Mühe, das Gleichgewicht zu halten. Plötzlich scheint Joki genug von der lästigen Zecke auf seinem Rücken zu haben. In einem Schlenker trabt er auf den nächstgelegenen Baumstamm zu und scheuert seine mächtige Schulter an dem Stamm. Erst die Schulter, dann mein Bein und ich kapiere: Himmel, der Koloss will mich zerquetschen!
Schon spüre ich die raue Rinde an der Wade, den Druck, den der Pferdeleib ausübt, schwinge im letzten Moment das Bein nach vorn, über den Hals, sodass ich seitwärts auf dem Pferderücken liege, während Joki beschließt, seinen Trab fortzusetzen. Lange kann ich diese Position nicht halten. Ich rutsche ab, versuche, mich im Fallen zur Seite zu drehen, weg von den Bratpfannenhufen, komme mit dem linken Fuß zuerst auf, knicke um, knalle mit Hüfte und Steißbein auf den Boden, bevor ich mit dem Hinterkopf auf einen Stein aufschlage.
Dass ich nicht ohnmächtig werde, liegt wohl daran, dass der Rucksack den Sturz halbwegs abgefangen hat, ehe es meinen Kopf erwischte. Eine Welle von Schmerz überspült mich, durchflutet alle Glieder: am Knöchel dumpf und von einem tauben Gefühl begleitet, an Hüfte und Steißbein scharf und stechend, am Hinterkopf brennend und pochend. Hätte Joki mich in scharfem Galopp abgeworfen, wären mir solch präzise Lokalisierungen vermutlich gar nicht mehr möglich, dann läge ich jetzt mit zerschmetterten Gliedern da.
Vorsichtig bewege ich meine Gliedmaßen: Füße, Hände, Arme und Beine, alles gehorcht mir noch. Ich setze mich auf.
Von einer mächtigen Schweiß-Dampfwolke umhüllt, ist Joki in einiger Entfernung stehen geblieben. Er wendet seinen Kopf in meine Richtung und schaut mich treuherzig an, als wolle er sich vergewissern, dass ich noch lebe. Schließlich dreht er ab und zockelt davon – direttamente zurück zu seinem Stall, nehme ich an.
Ich fasse an meinen schmerzenden Hinterkopf, an die fleischige Wulst zwischen Genick und Schädel, fühle warme, klebrige Feuchtigkeit: eitriges Wundwasser, versetzt mit Schlieren von Blut. Die schorfige Kruste, die sich dort zwischenzeitlich gebildet hat, ist aufgeplatzt, doch damit nicht genug. Inmitten der Wunde ertaste ich etwas. Im Gegensatz zu der gespannten Haut ringsum ist es völlig gefühllos, und die stumpfe Glätte der Oberfläche lässt erahnen, dass es sich um kein natürliches Material handelt. Erschrocken ziehe ich meine Hand zurück, taste
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