Wildwasserpolka
dann nochmals vorsichtig. Da ist etwas, kein Zweifel. Mit Daumen und Zeigefinger versuche ich, es zu fassen zu bekommen, ziehe daran, doch nichts geschieht. Ich ziehe nochmals, entschlossener, und plötzlich löst es sich ohne jeden Widerstand, wie ein Dorn, der mühelos aus dem Fleisch gleitet, sobald man ihn richtig gepackt hat. Aber es ist kein Dorn. Was ich auf meinen Zeigefinger balanciere, leicht wie ein Blütenblatt, ist ein etwa ein Zentimeter langes, transparentes Röhrchen mit bläulich grünem Innenleben, an dessen hinterem Ende sich eine abgeplattete, kreisförmige Verdickung befindet; am vorderen, schmalen Ende dagegen hängt ein fadenartiges Gebilde, dünn und flexibel wie ein feines Haar.
Unwillkürlich dreht sich mir der Magen um, nicht allein wegen des Ekels, mir einen Fremdkörper von nicht unbeträchtlicher Größe aus einer eitrigen Kopfwunde gezogen zu haben – das auch! –, sondern vor allem wegen der impliziten Bedeutung meiner Entdeckung. Ich kann kaum glauben, was ich da in Händen halte, aber ich weiß verdammt noch mal, wonach es aussieht: Nach einem Radio-Transmitter nämlich, einer winzigen Platine mit dahinter liegender, ebenso winziger Batterie. Und das, was mich an ein Haar erinnert hat, ist die zugehörige Antenne. Ein ähnliches Gebilde habe ich einmal in einer Tierdoku gesehen, in der über eine bestimmte Schmetterlingsart berichtet wurde, die Strecken von mehreren tausend Kilometern zurücklegen kann. Um ihre Reiserouten zu verfolgen, hatte man die Tiere mit speziellen, ultraleichten, aber äußerst leistungsfähigen Peilsendern ausgestattet.
Und jetzt bin ich der Schmetterling.
Hier, in diesem Augenblick, mit aufgeschlagenem Kopf, lädiertem Knöchel und höllisch schmerzendem Steißbein irgendwo auf dem Waldboden hockend, habe ich eins der größten Rätsel dieser bitteren Geschichte gelöst: Ich habe die Antwort auf die Frage gefunden, warum ich nie Waskovics Blickfeld entging, obwohl ich alles hinter mir gelassen habe. Anstatt Erleichterung zu empfinden, der Sache endlich auf die Spur gekommen zu sein, ist da nur bodenlose Ernüchterung. Ich will nicht mehr.
Aber ich muss.
Ernie wird mir das Ding am Blauen Stein verpasst haben, denke ich, dort oben am Basaltkrater, nachdem er mich ausgeknockt hat. Vermutlich hat er mir den Sender mit einer Art Betäubungswaffe injiziert, mit diesem futuristisch aussehenden Ding, mit dem er mich bedroht hat.
Hätte sich die Wunde nicht entzündet, hätte ich davon womöglich gar nichts gemerkt, die Injektionsstelle scheint sehr bewusst gewählt worden zu sein.
Wie zum Teufel kommt der Kerl an ein derartiges Equipment? Ist er ein verkappter James Bond? Hat er Verbindungen zum KGB? Zur CIA?
Ironie kann mich leider nicht retten. Fakt ist, dass der Peilsender nicht aus dem Sortiment von Mr. Q’s Secrets stammt. Fakt ist ferner, dass Ernie mich so richtig drangekriegt hat.
Fakt ist aber auch, dass ich dahintergekommen bin. Vielleicht zu spät, aber dennoch. Sie sind verwundbar. Verdammt noch mal, sie sind verwundbar!
Ich rappele mich hoch, teste zaghaft, ob meine Füße mich tragen, und humpele davon.
25
Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit, und neues Leben blüht aus den Ruinen.
Friedrich Schiller
Der sanft abfallende Weg, auf dem ich mich jetzt befinde, ist trocken, eben und so breit, dass ein Auto ihn befahren könnte. Meine Verfolger scheine ich zwar vorerst abgehängt zu haben – mit Joki konnte offenbar selbst die Krawallhose nicht Schritt halten –, aber ich weiß nicht genau, wo ich mich befinde, und kann nicht ausschließen, dass Vanessas Mini gleich hinter mir auftaucht.
Vielleicht haben sie Ernie die Empfangsantenne abgeluchst und wussten deshalb, wo sie mich suchen mussten – und müssen. Noch habe ich den Sender bei mir. Ich bin versucht, ihn einfach in die Büsche zu werfen, aber irgendetwas hält mich davon ab. Falls sie nach wie vor hinter mir her sind, werden sie den Sender in kürzester Zeit im Gebüsch entdecken und wissen, dass ich noch in der Nähe bin. Ich werde es nicht schaffen, schnell genug von hier zu verschwinden, fußlahm, wie ich bin. Also muss ich mir etwas einfallen lassen.
Nach ein paar Metern stoße ich auf einen Teich, lasse den Blick schweifen. Das Gelände kommt mir irgendwie bekannt vor. Und dann weiß ich plötzlich, wo ich bin. Leider hat Joki mich nicht in östliche Richtung verfrachtet, wie ich es eigentlich angestrebt hatte, sondern in westliche.
In dem engen Tal, in dem ich
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