Wildwasserpolka
traue meinen Ohren kaum, und mein Herz macht einen Hüpfer. Erst jetzt merke ich, wie sehr er mir gefehlt hat – und wie froh ich darüber bin, dass er sich offenbar wieder auf meine Seite geschlagen hat. Dass ich wieder auf ihn zählen kann.
»Warte einen Moment, ich nehm dich mit raus«, meint er nun. »Yannick und Mama sehen so laut fern, dass man sein eigenes Wort nicht versteht.«
›Seit wann darf Yannick unter der Woche fernsehen?‹, hätte ich unter normalen Umständen gefragt. Weiß schließlich jeder, dass Kinder blöd davon werden. Jetzt ziehe ich es vor, mich harmlos nach der Sendung zu erkundigen, und erfahre, dass es sich um ›Pippi Langstrumpf‹ handelt, dieselben Folgen, die wir damals schon mit unseren Eltern geguckt haben.
»Mama ist immer noch ganz verliebt in Kapitän Langstrumpf«, setzt Markus hinzu, und ich sehe ihn genau vor mir, wie er in diesem Moment schelmisch seiner Mutter zuzwinkert. Dann höre ich eine Tür gehen, die Hintergrundgeräusche verstummen schlagartig, und der Mann, den ich nun am Apparat habe, ist ein anderer.
»Was fällt dir ein, hier anzurufen?«, fährt er mich an.
»Ich wollte nur fragen, wie es euch geht«, erwidere ich kleinlaut.
»Lass uns in Ruhe, verstanden? Wir wollen mit deinem Scheiß nichts zu tun haben!«
»Wie geht’s Yannick?«, hake ich nach und merke, dass ich wütend werde, was mich noch wütender macht, weil ich keinen Grund habe, auf Markus wütend zu sein. Ich müsste ihn verstehen können.
»Kein Mensch weiß, was du dir bei dem Mist gedacht hast!«, schnauzt er, ohne im Geringsten auf meine Frage einzugehen. »So schlecht standen wir nun auch nicht da!«
»Ich weiß nicht, wovon du sprichst, Markus«, sage ich und zwinge mich zu einem neutralen Ton.
Schweigen. Er überlegt offenbar, ob mein Einwand eine Antwort wert ist.
»Die Polizei hat gestern unsere Bude auf den Kopf gestellt«, erklärt er schließlich, und der Schreck fährt mir in alle Glieder. »Sie waren nicht sonderlich freundlich zu mir, falls es dich interessiert. Ich habe mir Yannick geschnappt und bin sofort zu Irene gefahren, bevor ihnen einfallen konnte, mich festzusetzen. So sieht’s aus.«
»Was haben Sie gefunden?«, erkundige ich mich vorsichtig.
»Keine Ahnung, das musst du doch am besten wissen! Aber lass dir gesagt sein: Ich habe keine Lust, dich im Knast zu besuchen. Nicht die geringste.« Und gehässig fügt er hinzu: »Das kann ja dann dein Stecher machen – falls er nicht selbst bald einsitzt.«
»Markus, hör mir zu! Ich hatte nichts mit diesem Mann. Ich sollte ihn nur beschatten.«
»Beschatten? Das nennst du beschatten?!« Er lacht empört auf.
»Ja, ich sollte ihn beschatten«, behaupte ich, obwohl das nicht wahr ist, alles andere wäre jedoch auf die Schnelle zu kompliziert, und kommt diese Lüge nicht am ehesten an die Wahrheit heran?
»Nein, das stimmt nicht ganz«, korrigiere ich mich trotzdem, weil ich mir geschworen hatte, meinem Mann nur noch die Wahrheit zu sagen. »Es ging eigentlich nicht um ihn, sondern um seinen Chef, aber dann lief alles durcheinander, es war …« Ich halte inne. Markus lacht, hämisch, böse, und ich merke, dass mir die Puste ausgeht. So einfach ist das alles nicht begreiflich zu machen, schon gar nicht am Telefon. Erst recht nicht, wenn man spürt, dass der andere gar nicht willens und in der Verfassung ist, einem zuzuhören.
»Die Dinge sind wirklich kompliziert, Markus«, versuche ich resigniert das Thema zu beenden. »Ich hoffe, ich kann dir bald alles in Ruhe erklären.«
»Ich habe dir schon einmal gesagt, dass mich deine Geschichten nicht mehr interessieren.«
»Ich kann dich ja verstehen, Markus!«, lenke ich ein. »Es muss schrecklich gewesen sein gestern. Aber glaub’ mir, wenn du erst weißt …«
»Ich werde die Scheidung einreichen, Johanna«, unterbricht er mich, plötzlich sehr gefasst. »Und ruf hier bitte nicht noch mal an.«
Klick. Ende des Gesprächs.
Es wird Zeit, denke ich. Wenn ich die Sache mit Salzmann nicht sofort angehe, werde ich in eine bodenlose Depression sinken. Dann werde ich keine Kraft mehr haben, für gar nichts. Heute nicht und überhaupt nicht mehr.
Ich wähle seine Nummer, und er geht sofort ran. Ohne Vorrede gebe ich ihm die Adresse durch, erkläre, dass ich ihn in einer Stunde zum Kaffee erwarte – pünktlich!, und will das Gespräch beenden, doch Salzmann hat ebenfalls etwas zu sagen.
»Es ist mir zu riskant, am helllichten Tag durch die Gegend zu fahren«,
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