Wildwood
Leider, leider wirst du hier dein Ende finden. Ich wünschte, es wäre anders gekommen, aber so ist nun mal der Lauf der Welt.«
Mit offenem Mund starrte Curtis sie an.
»Mach’s gut«, wiederholte sie und ging.
Wie die Gouverneurin befohlen hatte, zog der Wärter die Leiter von der Wand und holte den Räuberkönig aus seinem Käfig. Stolz und trotzig stieg Brendan hinunter und ließ sich ohne Gegenwehr die Handgelenke fesseln. Die Räuber in den Käfigen über ihm beobachteten das Geschehen wortlos, und bevor er aus dem Raum geführt wurde, bedachte ihr Anführer sie mit einem einzigen, unerschütterlichen Blick.
»Seid stark, Jungs«, war alles, was er sagte. Dann war er fort.
ACHTZEHN
Rückkehr · Bekenntnis eines Vaters
D er Breiumschlag – eine dicke, gelblich grüne, in Eichenblätter gewickelte Paste – lag kühl um ihren Knöchel, als Prue von zwei schweigsamen Soldaten aus dem Bau geführt wurde. Das Heilmittel schien überraschend wirksam zu sein; sie konnte fast sofort wieder laufen und humpelte nur noch leicht, ohne von einem ihrer Begleiter gestützt werden zu müssen.
Wortlos gingen die Kojoten voran; eine Zeit lang marschierten
sie eine flache Senke hinab, in deren Mitte sich ein Trampelpfad durch die dichten Farnwedel und die Sauerkleedecke des Waldbodens wand. Es war jetzt dunkler als bei ihrer Ankunft im Bau; eine Wolkenschicht war von Südwesten herangeweht, und die Luft war kühl und feucht. Da plätscherten auch schon die ersten Regentropfen auf das Laub der Bäume und das Unterholz. Nach einer Weile mündete der Pfad in die Lange Straße, deren schmutziger Kies schon etwas nass war. Prue und die Kojoten gingen die Straße entlang, bis sie die Hohe Brücke erreichten und das dunkle Nichts darunter überquerten. Auf der anderen Seite verließen die Kojoten die Straße wieder und folgten stattdessen einem für Prues Augen nicht zu erkennenden Weg; er führte durch ein weites Feld gewaltiger Schwertfarne, hinab in ein mit zarten Weinahornzweigen überzogenes Tal. Prue verfiel in eine Art Meditationszustand und verlor vollkommen die Orientierung.
Endlich, sie mussten bereits mehrere Stunden gelaufen sein, tat sich eine Lücke zwischen den Bäumen auf. Und durch diese Lücke ragten düster die beiden Türme der Eisenbahnbrücke über dem breiten, grauen Fluss auf. Am anderen Ufer schmiegten sich die kleinen Holzhäuser von St. Johns behaglich in die gepflegte Begrünung des Stadtviertels. Die Soldaten blieben am Waldrand stehen und bedeuteten Prue, weiterzugehen. Sie nickte, verabschiedete sich von ihrer Eskorte und kletterte einen mit dornigen Brombeerranken bewachsenen Abhang hinunter bis zu einem flachen Graben, der ein Stück an den Gleisen entlang verlief. Rasch blickte sie über die Schulter, ob sie die Kojoten noch sehen konnte – sie fragte sich, wie viele Soldaten wohl dort stationiert werden würden, um die Brücke zu überwachen –, doch sie konnte keine mehr erkennen. Falls sie da waren, boten ihnen die Bäume eine sichere Tarnung.
Prue orientierte sich an den Gleisen Richtung Eisenbahnbrücke und traf kurze Zeit später auf ihr kaputtes Fahrrad und den roten Anhänger, die immer noch im hohen Gras des Grabens lagen. Ihre Rippe schmerzte, als sie das Rad aufhob und den verklemmten Rahmen aus dem kleinen Wagen drehte. Ihre erste Einschätzung hatte gestimmt: Das Vorderrad war hoffnungslos verbogen, aber der Rest schien in einem brauchbaren Zustand zu sein. Sie drehte den Anhänger um, drückte die Stange gerade, mit der er am Fahrrad befestigt war, und schob alles zusammen durch die Industriewüste zurück auf die Eisenbahnbrücke. Hinter ihr ertönte ein lautes, deutliches Zischen, und als sie sich umdrehte, ging eine graue Regenwand auf den bewaldeten Abhang oberhalb der Brücke nieder. Innerhalb von Sekunden hatte sie Prue erreicht, die beinahe sofort bis auf die Haut durchnässt war.
»Das war ja klar«, murmelte sie und schob ihr Fahrrad weiter über die Brücke.
Auf der anderen Seite kämpfte sie sich eine Kiesstraße hinauf, die in Serpentinen zum Kliff führte. Schon bald war sie zurück in dem ordentlichen Labyrinth aus abgezirkelten Straßen, frisch gemähten
Vorgärten und stillen dunklen Häusern ihrer Heimatstadt. Sie stieß einen langen, traurigen Seufzer der Erleichterung aus.
Die Welt hatte sich hier offenbar ziemlich problemlos weitergedreht: Die wenigen Fußgänger, die von dem Platzregen überrascht worden waren, kauerten sich unter Schirme und liefen
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