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Wildwood

Wildwood

Titel: Wildwood Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Meloy
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vollquatschen zu lassen, so.«
    »Wirklich?«, fragte Prue. »Einfach nur Meditation?« Diese Art von »Übung« war Prue nicht ganz fremd: Sie verband damit Räucherstäbchen, die zum Niesen reizten, verschwitzte Yogamatten und – seltsamerweise – den Geruch von Bierhefe. »Das ist ihre … Zauberkunst?«
    Doch der Hase blieb die Antwort schuldig, denn in diesem Moment kam das Mädchen mit zwei Zinntellern heraus und stellte sie vor ihnen auf den Tisch: Prues Klößchen waren von weißen Käsewürfeln gekrönt und sahen einfach köstlich aus. Sie dankte der Kellnerin, riss sich ein Stück von dem kleinen Brotlaib ab, den das Mädchen ebenfalls gebracht hatte, und begann zu essen. Der Hase schob sich den Sieb-Helm in den Nacken und machte sich begeistert über seine Mahlzeit her. Sie kauten schweigend, und Prue bekam keine weitere Auskunft über die Magie der Mystiker. Sie nahm an, dass Samuel ihre Frage als unhöflich betrachtete, also ließ sie das Thema auf sich beruhen.

    Gerade hatte sie das letzte Restchen Soße mit einem Stück Brot von ihrem Teller gewischt, als der Fuchs wieder auftauchte. »Also gut«, verkündete er. »Sie können dich empfangen.«
    Der schmale Pfad war von zwei langen, ordentlichen Reihen stattlicher Zedern gesäumt – in Prues Augen wirkten sie beinahe getrimmt, so akkurat erschienen sie. Am Ende des Weges öffnete sich der Wald auf eine große Wiese, die von einer Wand erhabener Tannen umstanden war. Das hohe Gras bewegte sich in einer kühlen Brise, wobei die gesamte Vegetation auf dieser Lichtung auf einen zentralen Punkt zuzuwogen schien: einen gewaltigen Baum, der sich mitten auf der Wiese steil erhob. Er war von unbestimmter Art und sein kräftiger, knorriger Stamm verzweigte sich wild nach oben in unzählige belaubte Äste. Seine Krone breitete sich über fast die gesamte Grasfläche aus und überragte die umstehenden Bäume so hoch, dass ihre obersten Spitzen vor dem wolkenverhangenen Himmel verschwammen. Prue riss die Augen auf. Sie erkannte ihn sofort wieder – er war tatsächlich genauso wie auf dem Bild in der Villa Pittock. Die imposante Größe des Baumes wurde noch unfassbarer, als Prue die am Fuße seines Stamms versammelten Gestalten sah, die sich im Schatten der Äste tummelten wie Ameisen unter einem Wolkenkratzer. Bei näherem Hinsehen erkannte sie, dass es sich um Menschen und Tiere handelte, die in schlichte Leinengewänder gekleidet waren. Manche standen plaudernd im Gras; andere ruhten sich im Liegen auf den Wurzeln aus, die sich vom Baum fortschlängelten.
Als Prue, der Fuchs und der Hase eintrafen, löste sich eine einzelne Gestalt aus der Menge und kam auf sie zu.
    »Hallo«, sagte die verhutzelte Frau und raffte ihr langes Gewand, sodass der Saum die Grasbüschel nicht berührte. Während sie sich ihnen näherte, sah Prue, dass sie tiefe Falten hatte und ihr Haar lang und grau war und wie Silberdraht von ihrem Kopf abstand. »Willkommen in Nordwald.« Ein glückseliges Lächeln lag träge auf ihrem goldbraunen Gesicht, und sie streckte die Hand zum Gruß aus. »Ich bin die Älteste Mystikerin. Mein Name ist Iphigenia.«
    Prue schüttelte ihre Hand; sie fühlte sich irgendwie abgegriffen an, die Haut der Innenfläche war so glatt wie gegerbtes Leder. »Ich bin Prue.«
    »Ich weiß«, sagte die Älteste Mystikerin. »Ich habe von deiner Ankunft gehört. Der Baum« – sie deutete hinter sich – »ist dir gefolgt. Die ganze Zeit. Er hat uns von deinen Erlebnissen unterrichtet.« Sie streichelte Prue die Wange. »Du hast gelitten, mein Mädchen. Du musstest großes Leid ertragen. Komm.« Sie schlang ihre Hand um Prues Armbeuge. »Begleite mich ein Stückchen.«
    Iphigenia wartete, bis Prue ihr Fahrrad abgestellt hatte, und führte sie dann von den beiden Wachtmeistern fort. Ein ausgeprägter Lavendelduft umgab sie, ihre Berührung war warm und Prue fühlte sich in ihrer Anwesenheit sofort beruhigt. Eine Gruppe von Kindern, ebenfalls in Leinengewändern, spielte auf der Wiese ausgelassen Fangen. Prue und die Mystikerin spazierten in einem großen Kreis um
den Baum herum, und Prue bestaunte seine unermessliche Größe. Der Stamm bestand aus einem riesigen Bündel sich emporwindender Stränge und war mindestens fünfzehn Meter dick. Eine kleine Galaxie von Astlöchern durchbrach die Maserung des Holzes, manche davon groß genug, um einen Menschen im Ganzen zu verschlingen. Die Krone wurde von einem Gewirr von Vögeln umschwirrt, die den Himmel mit ihrem bunten

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