Wildwood
schniefte Devon, man sah ihm an, wie sehr ihn die Erinnerung aufwühlte. »Wir haben gekämpft, so gut wir konnten, aber wir waren ihnen nicht gewachsen. Das waren Hunderte, mein König, Hunderte. Kamen aus allen Richtungen. So viele hab ich mein Lebtag noch nicht gesehen. Fliehen konnten wir nicht, sie hatten uns umzingelt. Brin, Loudon und Maire. Alle tot. Hal auch. Insgesamt haben wir fünfunddreißig verloren. Mich haben sie eingefangen und am Leben gelassen. Das hier« – er zeigte auf drei rote Kratzer auf seiner Wange, die offensichtlich von Krallen stammten – »haben sie mir verpasst. Ich soll meiner Sippe ausrichten, dass sie sich besser raushält.« Die Stimme des jungen Mannes klang tieftraurig. »Verzeih mir, mein König. Ich weiß, ich hab versagt.«
Brendan biss die Zähne fest aufeinander. »So hoch sind unsere Verluste?«
Da meldete sich ein älterer Mann zu Wort, dessen brauner Bart bereits angegraut war und der, die Hände in die Hüften gestemmt, etwas abseits stand. »Jawohl, König. Ohne die ganzen Männer, die in der Schlacht am Kamm und gestern gefallen sind, können wir überhaupt nichts mehr unternehmen. Wir haben ja kaum genug, um das Lager zu bewachen.«
Jetzt erst ging Brendan zu dem Verwundeten, Devon, und umschloss mit der Hand dessen Nacken. Sanft drückte er seine Stirn
an die von Devon, er hatte Tränen in den Augen. »Sie sind nicht umsonst gestorben«, sagte er langsam und leise. »Wir werden ihren Tod rächen. Einen um den anderen.«
Eine Frau trat aus der kleinen Gruppe auf der Lichtung. Ihr pechschwarzes Haar war kurz geschnitten, und ihre Ohren zierten große Creolen. In einem breiten Seidentuch, das sie um die Taille geschlungen hatte, steckte ein Säbel, und als sie nun sprach, legte sie ihre mit Ringen geschmückten Hände auf den Knauf. »Und wie willst du das tun, Brendan? Mit welcher Armee? Wir haben nicht mal genug Leute, um den Vierspänner eines Gutsbesitzers auszurauben, geschweige denn es mit der gesamten Kojotenarmee der Witwe aufzunehmen.« Einige der Umstehenden nickten zustimmend. »Nein«, fuhr sie fort, »wir bleiben, wo wir sind. Wir warten ab. Wir haben in der großartigen Geschichte unserer Bande schon so manche schlimme Zeit erlebt; wir können das durchstehen.«
Brendan löste sich von Devon und wandte sich an die Menge. »Es gibt nichts abzuwarten. Das ist das Ende.« Wie zur Betonung schlug er sich mit der Faust in seine Handfläche. Seine Stimme war stahlhart, schonungslos. »Die Witwe ist entschlossen, das alles hier auszulöschen. Den ganzen verdammten Wald. Sie opfert das Blut eines menschlichen Außenweltkindes dem Efeu. Dem Efeu, Freunde. Und danach will sie ihm den Befehl geben, den gesamten Wald zu vernichten, Nord und Süd. Und Wildwald. Weg. Alles nur noch ein riesiges Efeufeld, wenn sie fertig ist.«
Ein angstvolles Raunen erhob sich unter den versammelten Räubern. »Was?«, rief einer. »Woher weißt du das?«
Brendan humpelte zu Curtis und legte ihm die Hand auf die Schulter, die nicht von Septimus besetzt war. »Von diesem hier«, sagte er mit versteinerter Miene, »diesem Außenweltjungen.«
Jetzt erst erkannten die Räuber Curtis, und verhaltener Protest wurde laut, den Brendan aber sogleich beschwichtigte. »Ja, er hat für die Witwe gekämpft. Er war sogar ein Vertrauter dieser Hexe! Aber als er von ihrem Plan erfuhr, hat er sich von ihr losgesagt. Und wurde eingesperrt.«
»Wir haben ihn in diesem miesen Loch von einem Gefängnis kennengelernt«, fuhr Angus fort. »Er hat uns bei der Flucht geholfen. Er ist ein Freund.«
»Seine Freundin ist die Schwester des Kindes«, ergänzte Brendan. »Des Babys, das die Witwe opfern will. Ohne Curtis wüssten wir gar nichts von der ganzen Sache.«
Jemand aus der Menge rief: »Aber wenn sie den Efeu beherrscht … wird sie uns alle umbringen!«
Und ein anderer: »Und jeden Baum zu Fall bringen, jede Pflanze ersticken.«
»Genau das hat sie vor«, rief Brendan. »Sie ist wahnsinnig, diese Frau. Sie will den ganzen Wald zerstören, und sie wird uns alle mit ins Verderben reißen.« Seine Stimme wurde ruhig, und er humpelte näher an die Räuber heran. »Also haben wir zwei Möglichkeiten.
Erstens« – er hielt einen einzelnen Finger hoch –, »wir bleiben hier. Und werden an der Tagundnachtgleiche, nämlich morgen, allesamt vom Efeu verschlungen. Jeder Einzelne von uns: tot. Männer, Frauen und Kinder.« Er sah die gebannt lauschende Menge eindringlich an und blickte einem nach dem
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