Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wildwood

Wildwood

Titel: Wildwood Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Meloy
Vom Netzwerk:
Grasbüschel zu schwanken, als wäre plötzlich eine Brise aufgekommen und würde durch seine Halme streichen. Allerdings bemerkte Prue, dass die Luft völlig unbewegt blieb. Zu Prues Erstaunen erzitterten allmählich einzelne Stängel und wickelten sich um ihren Nachbarn herum. Binnen Kurzem hatte das Grasbüschel einen kleinen Wald aus perfekt geflochtenen Strängen gebildet. »Das ist ja unglaublich«, flüsterte sie.
    Die Stirn der jungen Schülerin war vor Konzentration ganz gefurcht, während die Halme sich miteinander verwoben – doch dann wurde das Geflochtene langsam immer ungleichmäßiger und unordentlicher, bis kein Muster mehr zu erkennen war und das Grasbüschel sich zu einem heillosen Gewirr bebender grüner Fäden verknotet hatte.
    »Ach, menno!«, rief Iris und schlug die Augen auf. »Das vermurkse ich jedes Mal!«
    Kaum hatte sie ihre Aufmerksamkeit von ihnen abgewendet, entwirrten sich die Halme wieder und kehrten zu ihrer eigentlichen Form zurück: einem einfachen Büschel Wiesengras.
    Da hüpfte ein behelfsmäßig aus einer Kordel zusammengewickelter Ball zwischen die beiden Mädchen. Zwei Meditationsschüler, ein Junge und ein Waschbär, entschuldigten sich und kamen ihn holen.
Sofort verwandelte Iris sich wieder in das kleine Mädchen, das sie eigentlich noch war, und sprang auf, um den Ball noch vor ihren Spielkameraden zu erwischen. Nach ein paar Metern allerdings blieb sie stehen und drehte sich zu Prue um. Dann rannte sie zu ihr zurück und legte ihr eine Hand auf den Arm.
    »Mach dir keine Sorgen«, sagte sie. »Du wirst deinen Bruder finden.« Und damit war sie fort und verschwand zwischen den anderen Kindern.
    Prue war wie vom Donner gerührt über dieses Schauspiel von Macht, das sie gerade mit ihren eigenen Augen gesehen hatte. Sprachlos starrte sie Iris nach. Das schaffst du , dachte sie, durch Meditation? Die Mystikerin hatte gesagt, sie, Prue, sei von Waldzauber , oder zumindest teilweise. Warum sollte sie also nicht auch fähig sein, das Gras ihrem Willen zu unterwerfen? Sie starrte das Grasbüschel an und konzentrierte sich. Nichts passierte. Sie biss die Zähne zusammen und dachte so laut sie konnte: Beweg dich! Ich befehle es dir! Immer noch nichts. Sie gab einen enttäuschten Seufzer von sich und betrachtete wieder die spielenden Kinder, die sitzenden Mystiker und den großen Baum. Was für eine Macht! Wenn irgendjemand ihr helfen konnte, dann diese Leute. Und was hatte Iris vorhin noch gesagt? Dass Prue ihren Bruder wirklich finden würde? Die Ehrlichkeit des kleinen Mädchens, ihre Offenheit – und die Sicherheit in ihrer Stimme hatten Prue beeindruckt. Unwillkürlich musste sie lächeln, und ein kleiner Hoffnungsstrahl erhellte die Verzweiflung
über ihre Notlage, wenn auch nur für einen Moment. Sie beobachtete die Meditationsschüler und bemerkte einige ältere Gestalten in langen Gewändern, die aus dem Wald auftauchten und nach ihnen pfiffen. Sofort ließen die Kinder alles stehen und liegen und stellten sich in einer Reihe auf; ein zweiter Piff, und sie liefen im Gänsemarsch los. Im Nu waren sie zwischen den Bäumen verschwunden.
    Prue seufzte und wandte den Blick zurück auf den Ratsbaum und den unbewegten Kreis der Mystiker. Es wurde dunkel. Prue zog die Knie an die Brust und stützte das Kinn in die Armbeuge. Und wartete.
    Das Gras zu ihren Füßen raschelte leicht.

    »Du willst das echt machen, oder?«, fragte Septimus ungläubig. »Ich meine, ganz im Ernst, stimmt’s? Du ziehst in den Krieg. Mit diesen Leuten.«
    Curtis saß vor dem Lagerfeuer und nickte. Er war damit beschäftigt, einen Schleifstein über die rissige Klinge eines Säbels zu ziehen. Mit jedem Strich wurden die Furchen auf der Kante flacher und flacher. Diese Aufgabe hatte Seamus ihm zugeteilt, und Curtis fand sie seltsam befriedigend. Die Dämmerung war über das Lager hereingebrochen, und die Luft hatte eine bläuliche Färbung.

    »Du bist verrückt«, verkündete Septimus kopfschüttelnd. »Du bist irre. Hast du keine Familie? Drüben in der Außenwelt? Eltern und so was?«
    Erneut nickte Curtis. »Doch.«
    Septimus hob ratlos seine Pfoten in die Luft. »Warum dann, Mann? Warum verkrümelst du dich nicht nach Hause? Vergisst die ganze Sache hier? Kehr in dein Leben zurück!«
    Curtis hielt inne und sah die Ratte an; sie hockte auf einem hochkant stehenden Holzscheit vor dem knisternden Feuer. »Genau das wirst du wohl machen, wenn ich dich richtig verstehe«, stellte Curtis fest. Er hielt

Weitere Kostenlose Bücher