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Wildwood

Wildwood

Titel: Wildwood Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Meloy
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anderen kurz, aber nachdrücklich in die Augen.
    »Oder zweitens«, fuhr er fort und hielt einen zweiten Finger in die Luft, um dessen mittleren Knöchel sich eine tätowierte Schlange wand. »Wir kämpfen. Wir wehren uns mit aller Kraft.«
    »Und sterben«, sagte die Frau mit den Creolen, die Miene plötzlich ruhig und entschlossen.
    Brendan nickte. »Ja, Annie. Wir sterben. Aber wir sterben im Kampf. Und das ist um einiges besser, als zu warten, bis der Efeu uns erledigt.«
    Stille senkte sich auf das Lager. Ein Holzscheit verbog sich und knackte in einer der Feuerstellen. Die Sonne verschwand hinter einem Wolkenschleier. Regentropfen prasselten auf die höheren Äste der umstehenden Bäume.
    Brendans müde, verzweifelte Augen suchten in den Gesichtern seiner Mitstreiter nach einer Antwort. Endlich kam eine.
    »Wir kämpfen«, sagte Annie feierlich. Die versammelten Räuber sahen erst sie an, dann wieder Brendan. Nach einer kurzen Pause nickten sie alle und sprachen ebenfalls diese beiden Worte aus.
    »Wir kämpfen.«

ZWEIUNDZWANZIG
Zum Räuber gemacht
    Ü ber der Wiese setzte eine verfrühte Dämmerung ein, da die Sonne sich hinter einer vorrückenden Wolke versteckte. Das unverkennbare Geräusch ferner Tropfen kündigte Regen an; die Mystiker rührten sich nicht in ihrem weiten Kreis. Inzwischen saßen sie schon seit Stunden dort, schätzte Prue, und es gab keinerlei Anzeichen für einen baldigen Aufbruch. Nun goss es auch noch in Strömen. Prue versuchte eine Zeitlang, die Unerschütterlichkeit der Mystiker nachzuahmen, doch schließlich gab sie auf und suchte unter einer nahen Eiche Schutz. Sie wrang sich das Wasser
aus den Haaren, setzte sich mit dem Rücken an die raue Rinde des Baums und wartete weiter.
    Und wartete.
    Es war zum Glück nur ein vorübergehender Regenschauer, innerhalb einer halben Stunde war er vorbei. Und nachdem die Wolken weggeschmolzen waren, wurde die Wiese jäh von Sonnenstrahlen überzogen, die das feuchte Gras glitzern und schimmern ließen, als wäre es mit Diamanten besetzt. Der späte Nachmittag wich dem frühen Abend; Prue verließ den Schutz der Eiche, kehrte zu ihrem ursprünglichen Platz zurück und fuhr fort, den unbewegten Kreis der Mystiker aufmerksam zu beobachten.
    Es war klar, dass die Kinder in den Leinengewändern, die sie vorher gesehen hatte, eine Art Schüler waren. Sie hatten anfangs noch an der Sitzung teilgenommen, etwa eine Stunde lang sogar, bis die Jüngsten unter ihnen zu zappelig wurden, ehrerbietig aufstanden und zu irgendeiner anderen Zerstreuung liefen. Nach einer Weile hatten alle Schüler die Meditation abgeschüttelt und sich wieder ihren vorherigen Aktivitäten zugewandt: Fangen und Ringelreihen spielen; Käfer im hohen Gras betrachten; tagträumen. Eine von ihnen, ein kleines Mädchen, löste sich aus ihrer Gruppe. Sie hatte Prue schon die ganze Zeit über nicht aus den Augen gelassen, und jetzt überwand sie ihre Schüchternheit und setzte sich verhalten zwei Meter von Prue entfernt auf den Boden. Prue wartete darauf, dass das Mädchen etwas sagte. Doch es kam nichts, und so lächelte Prue und grüßte: »Hallo.«
    »Hallo!«, erwiderte das Mädchen offensichtlich entzückt darüber, von Prue bemerkt worden zu sein. »Ich bin Iris. Wie heißt du?«
    Prue stellte sich vor.
    »Du bist von der anderen Seite der Grenze, stimmt’s?«, fragte Iris.
    »Ja, stimmt.«
    »Was machst du hier?«
    »Ich hoffe, die Mystiker werden mir helfen, meinen Bruder zu finden«, erklärte Prue und fügte dann neckisch hinzu: »Und was machst du hier?«
    Iris errötete. »Ich lerne. Aber ich weiß nicht, ob ich etwas tauge. Das Stillsitzen ist so schwer. Aber ich bin auch erst im zweiten Jahr, und sie sagen, bis zum sechsten hab ich den Dreh raus. Meine Eltern glauben, ich hätte die Gabe.« Sie zuckte die Achseln. »Ob das stimmt, weiß ich nicht.«
    »Die Gabe?«, fragte Prue.
    »Ja«, sagte das Mädchen. »Eine Mystikerin zu sein. Ich hab mir nicht viel dabei gedacht; ich sitze einfach gern im Garten und rede mit den Pflanzen.«
    »Antworten sie denn?«
    Iris kräuselte die Nase und lachte. »Nein, sie sprechen nicht«, sagte sie. »Sie haben doch keinen Mund!«
    »Na ja«, meinte Prue etwas verlegen. »Warum redest du dann mit ihnen?«

    »Weil sie da sind. Sie sind überall um uns herum. Es wäre doch unhöflich, sie einfach zu ignorieren . Pass auf.«
    Das Mädchen kniete sich hin, legte die Hände ruhig an die Seiten und schloss die Augen. Vor ihr begann ein

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