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Wildwood

Wildwood

Titel: Wildwood Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Meloy
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von euch begegnen würde. Aus der Außenwelt .«
    Da das Gewehr nun nicht mehr vor seinem Auge klemmte, konnte Prue ihn besser sehen. Er war schon etwas älter, mit fahler, wettergegerbter Haut und zwei dicken Büscheln drahtiger Augenbrauen, und doch strahlte er etwas Besonderes aus. Prue konnte es zwar nicht genau beschreiben, aber dieses Etwas unterschied ihn von allen anderen Menschen, die sie je getroffen hatte. Es war eine Art Aura oder Glanz – ganz so wie das Licht des Vollmonds eine vertraute Landschaft verwandelt.
    Prue nahm all ihren Mut zusammen und fragte: »Verzeihung, darf ich meine Hände runternehmen?« Als er zustimmend nickte, ließ sie die Arme an die Seiten sinken und fuhr fort: »Ich stecke ein bisschen in der Klemme. Mein kleiner Bruder Mac wurde gestern von einem Vogelschwarm – genauer gesagt einem Krähenschwarm – entführt und irgendwo in diesen Wald gebracht. Und dann ist mir dummerweise auch noch mein Klassenkamerad Curtis gefolgt, und wir wurden von Kojoten angegriffen, die wie Soldaten aussahen. Ich konnte gerade noch entkommen, aber er wurde gefangen genommen. Und jetzt bin ich sehr müde und ein bisschen verwirrt
von all dem, was heute passiert ist, und wenn Sie mir helfen würden, wäre ich Ihnen wirklich sehr dankbar.«
    Das schien dem Mann komplett die Sprache zu verschlagen. Er zog das Gewehr zurück in den Wagen und sah sich nach hinten auf der Straße um. Dann wandte er sich wieder nach vorn und sagte: »Ist gut, steig ein.«
    Prue ging hinüber auf die Beifahrerseite, und der Fahrer öffnete die Tür. Sie stieg ein, streckte ihm ihre Hand entgegen und sagte: »Ich heiße Prue.«
    »Richard.« Er schüttelte ihre Hand. »Freut mich, dich kennenzulernen.« Dann drehte er den Zündschlüssel, und der Transporter sprang mürrisch an. Das Führerhäuschen wurde durch ein Metallgitter vom Laderaum getrennt, und Prue konnte erkennen, dass stapelweise braune Kartons und Kisten mit ordentlich verschnürten Briefumschlägen darin lagerten.
    »Moment mal«, sagte sie. »Sie sind … Postbote?«
    »Postmeister, Fräulein, stets zu Diensten«, verkündete Richard. Aus der Nähe sah Prue jetzt, dass er eine zerschlissene Uniform mit einem königsblauen Blazer und schmutzigen gelben Paspeln darauf trug. Auf der Brust prangte dasselbe Emblem, das sie bereits außen auf dem Transporter entdeckt hatte. Sein Kinn war mit weißen Sieben-Tage-Bartstoppeln bedeckt und sein Gesicht voller Falten.
    »Na gut«, meinte Prue, nachdem sie ihre Lage abgeschätzt hatte.
»Es wird auch so gehen müssen. Also: Mein Freund Curtis wurde gleich dort hinten erwischt. Sie können noch nicht weit gekommen sein. Wir beide plus Ihre Flinte da müssten uns irgendeinen Plan … wo wollen Sie denn hin?«
    Richard ließ den Motor aufheulen, und der Wagen hoppelte mit einem Ruck los. Richard musste brüllen, um das dröhnende Motorengeräusch zu übertönen: »Auf keinen Fall fahren wir zurück. Das ist viel zu gefährlich.«
    Prues Augen weiteten sich. »Aber – Richard! Ich muss Curtis doch helfen! Er ist ganz allein da draußen!«
    »Diese Kojotensoldaten, von denen du da erzählst, habe ich zwar noch nie gesehen, aber gehört hab ich schon von denen, und du kannst mir eines glauben: Deinem Freund ist jetzt nicht mehr zu helfen. Nützt ja nichts, wenn wir uns deswegen auch noch umbringen lassen. Nein, am besten fahren wir zurück nach Südwald und erstatten dem Gouverneurregenten Bericht.«
    »Dem was? «, stammelte Prue. Aber sie wartete Richards Antwort gar nicht erst ab. »Hören Sie: Diese Kojoten sehen ja vielleicht etwas furchterregend aus, aber sie haben nur Säbel und uralte Gewehre. Ihre Flinte dagegen ist richtig groß. Wenn Sie ein bisschen damit rumwedeln, kommen wir garantiert ohne einen Kratzer aus der Sache raus.«
    »Ich habe Arbeit zu erledigen.« Richard deutete auf die Poststapel im Laderaum. »Und ich hab nicht vor, das für einen Bengel
aufs Spiel zu setzen, der sich von Kojoten schnappen lässt. Das hier ist Wildwald, Kindchen, und ich kann es mir nicht erlauben, da überhaupt anzuhalten. Glück für dich, dass du mir vors Auto gesprungen bist. Sonst hätte ich dich an der Straße stehen lassen.«
    »Na schön.« Prue hantierte am Türhebel herum. »Dann möchte ich jetzt bitte aussteigen. Ich rette ihn eben allein.«
    Doch ehe sie die Tür aufstoßen konnte, schoss Richards Hand blitzschnell über ihren Schoß und hielt den Türgriff fest, wobei er den Lieferwagen beinahe in den Graben

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