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Wildwood

Wildwood

Titel: Wildwood Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Meloy
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gesetzt hätte. Ein Reifen rumpelte über einen Ast, und Richard brüllte: »Wenn dir dein Leben lieb ist, gehst du nicht da raus – und das ist bestimmt kein Witz!« Prue zog die Hand zurück und verschränkte mürrisch die Arme vor der Brust.
    »Jetzt hör mir mal gut zu«, sagte Richard ruhig. »An diesem Ort sollte man als Mädchen wirklich nicht allein rumlaufen. Und erst recht nicht als Außenweltmädchen. Die Tiere hier wittern dich aus einem Kilometer Entfernung. Keine Ahnung, wie du es überhaupt allein bis hierher geschafft hast, aber eins kann ich dir sagen: Dein Glück hält mit Sicherheit nicht ewig an. Wenn diese Kojoten dich nicht schnappen, dann die Räuber, die in dieser Gegend hier herumlungern. Mein Lieferwagen ist im Augenblick der sicherste Ort für dich. Und ich muss dich jetzt schnurstracks zum Gouverneurregenten bringen. Das ist Vorschrift.«
    »Wer ist der Gouverneurregent?«, fragte Prue. »Und warum
wird das hier ständig von allen Wildwald genannt? Die Kojoten haben das auch schon gesagt.«
    Richard zog eine halb zerkaute Zigarre aus dem Aschenbecher, steckte sie sich zwischen die Zähne und spuckte ein paar Tabakkrümel auf die Straße. »Der Gouverneurregent«, nuschelte er mit dem Stummel im Mund, »ist das Oberhaupt von Südwald. Sein Name ist Lars Svik.« Plötzlich senkte er die Stimme. »Allerdings – unter uns gesagt – wimmelt es um ihn herum nur so von Schlangen, die sich um ihn drängeln und ihm ihre Ratschläge ins Ohr zischen. Damit könnte man einen ganzen Sultanspalast bevölkern.« Er warf Prue einen Seitenblick zu. »Schlangen im bildlichen Sinn, meine ich. Bürokraten und so was.«
    Dann fuhr er fort: »Wildwald ist das unzivilisierte Land.« Wie auf einer Landkarte fuhr er mit dem Finger über das Armaturenbrett. »Es erstreckt sich von der nördlichsten Grenze des Vogelfürstentums bis hinauf nach Nordwald. Ich hab dich ungefähr auf halber Strecke im Niemandsland aufgegabelt, mitten in Wildwald, wo es nichts als Wölfe und Kojoten und Diebe gibt, die von dem leben, was sie im Gestrüpp finden – oder aus einem der ab und an durchfahrenden Lastwagen erbeuten. Oder dem Postauto. Deswegen hab ich auch immer mein Eisen da unten dabei.« Er zeigte auf die Flinte. »Als Postmeister ist es meine Aufgabe, Briefe, Vorräte und alles Mögliche von den Leuten in Südwald zur Landbevölkerung in Nordwald zu transportieren und umgekehrt. Und dazu muss ich
über diese verfluchte Straße zwischen diesen beiden Orten pendeln; die Straße heißt übrigens Lange Straße, wie einfallsreich. Woche für Woche setze ich mich diesem Wahnsinn aus und riskiere dabei Leib und Leben. Und eins kann ich dir sagen, Portland-Prue, als Staatsdiener verdient man sich nicht gerade eine goldene Nase.«
    »Sie können mich einfach Prue nennen«, war alles, was Prue dazu einfiel. Richards Monolog hatte sie völlig aus dem Konzept gebracht. Unzählige Fragen schwirrten ihr durch den Kopf, sodass sie kaum in der Lage war, sie zu sortieren. »Dann gibt es also noch andere Leute. Die hier wohnen. In diesem Wald. Wo ich herkomme, heißt der Ort hier die Undurchdringliche Wildnis.«
    Das brachte Richard so heftig zum Lachen, dass ihm die Zigarre aus dem Mund flog und er im Fußraum herumkramen musste, um sie wiederzufinden. »Undurchdringliche Wildnis? Junge, Junge, wenn’s doch nur so wäre. Dann wäre ich ein bisschen öfter zu Hause. Nee, ich weiß nicht, wer dir das erzählt hat, aber ihr Außenweltleute seht das völlig falsch. Wobei ich auch noch nie jemandem von deiner Sorte begegnet bin, insofern liegt auf der Hand, dass bisher niemand probiert hat, etwas über den Wald herauszufinden – Wild, Nord oder Süd.« Lächelnd sah er Prue an. »Scheint so, als wärst du vielleicht unser erster Pionier, Portland-Prue.«

SECHS
Der Bau der Witwe · Ein Fürstentum der Vögel
    D ie Seile brannten auf Curtis’ Handgelenken, und sein Brustkorb tat ihm weh, weil er bei jedem Schritt gegen das knochige Rückgrat des Kojoten prallte. Das Rudel kam schnell voran, denn es ließ sich von den Schwertfarnen und tief hängenden Zweigen, die Curtis ins Gesicht schnalzten, natürlich nicht aufhalten. Auch wenn der Waldboden unter den Füßen seines Kojotenkidnappers verschwamm, hielt Curtis krampfhaft die
Augen offen und versuchte, jede Veränderung in der Umgebung aufzunehmen, die ihm helfen könnte, später den Rückweg wieder zu finden. Allerdings erschien diese Bemühung völlig hoffnungslos, bis das Rudel durch

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