Wildwood
deshalb sind wir hier, lieber Curtis.«
Curtis hob den Kopf und sah Alexandra, die Gouverneurswitwe, auf einem kohlrabenschwarzen Pferd zwischen zwei gewaltigen Zedern auf einer kleinen Hügelkuppe auftauchen. Sie streckte eine schlanke Hand aus. »Komm«, sagte sie zu ihm, »ich zeige dir die Welt.«
NEUN
Der schlechtere Svik · An die Front!
H ier entlang bitte, Fräulein …?«, sagte der Attaché, als sie das Ende des Flurs erreicht hatten und vor einer massiven Eichentür standen. Durch die verschmierten Gläser seiner Brille blickte er auf ein Klemmbrett in seiner Hand; er hatte die Einzelheiten ihrer Lage auf einen Zettel notiert.
»McKeel«, antwortete Prue abwesend. Sie spähte um die Kante der Tür herum, die von einem der Gehilfen des Attachés aufgestemmt
wurde. Dahinter lag ein breiter Korridor, dessen dunkle Holzvertäfelung mit zartgrünem Damast bezogen war. Und als die Tür ganz aufgezogen wurde, entdeckte Prue am Ende des Gangs eine weitere große Tür, die auf- und zuklappte wie eine Riesenmuschel: Bei jedem Ausatmen stieß sie Männer in schwarzen Anzügen mit Papierstapeln und Aktenordnern aus, bei jedem Einatmen nahm sie andere von derselben Sorte auf.
»Lassen Sie sich von dem Trubel nicht stören, Fräulein McKeel«, sagte der Attaché. »Es mag zwar chaotisch wirken, aber ich kann Ihnen versichern, die Regierung arbeitet so reibungslos und effizient wie eh und je.« Er lächelte breit und entblößte dabei zwei schiefe Reihen langer, gelblicher Zähne. Dann holte er tief Luft, zog die Stirn in Falten und führte Prue in den Korridor.
»Verzeihung. Pardon. Dürften wir bitte mal …«, rief der Attaché bei jedem Schritt, während sie sich durch den stetigen Strom kommender und gehender Staatsbediensteten schlängelten. Prue kam es vor, als würde sich der Gang vor ihr regelrecht krümmen, und das Gewimmel von Leibern, die sich in und aus ihrem Gesichtsfeld schoben, kam ihr wie eine Insektenplage vor. »Nur noch ein Stückchen – entschuldigen Sie bitte, mein Herr! – da wären wir«, sagte der Attaché, als sie vor der Muscheltür standen. »Ich bin gleich wieder da.« Er schlüpfte durch den offenen Spalt und verschwand. Für einen kurzen, ruhigen Moment blieb der Eingang verschlossen, dann wurde er wieder aufgestoßen, und der Attaché winkte Prue herein.
Der Raum war herrschaftlich; ein idyllisches Fries, das über den oberen Teil der Wand verlief und von einem gigantischen Kristalllüster beleuchtet wurde, zeigte eine feudale Hirschjagd. Allerdings wirkte das Zimmer zugleich ziemlich heruntergekommen. Große gerahmte Gemälde, die offensichtlich einmal aufgehängt werden sollten, lehnten wahllos an der Wand, und der kunstvoll gemusterte Teppich, der den Holzboden bedeckte, war abgetreten und ungepflegt. In der Mitte dieses Teppichs bogen sich die Dielen unter dem Gewicht eines schweren Holzschreibtischs, auf dem sich die Papiere so hoch stapelten, dass der Mensch, der hinter all der Unordnung saß, überhaupt nicht zu sehen war. Ja, man hätte ihn gar nicht bemerkt, wären nicht all die schwarz gekleideten Männer gewesen, die ganz offensichtlich um die Aufmerksamkeit des hinter den Papierstapeln Sitzenden buhlten. Als der Attaché vor dem Tisch ankam, standen alle Männer stramm.
»Herr Gouverneur«, sagte er, »darf ich vorstellen: Prue McKeel. Aus St. Johns, Außenwelt.«
Ein heller Kopf mit Halbglatze erschien über den Papierbergen, gefolgt von dem Mann, dem er gehörte. Er trug eine riesengroße Hornbrille und einen breiten Schnurrbart über den Hängebacken. Sein Gesicht war schweißnass, und seine Lippen bebten beim Sprechen.
»Angenehm. Guten Tag.«
Prue war etwas verwundert über das schlampige Aussehen des
Mannes. Das war der Gouverneurregent? Sein Anzug war zerknittert und unter seinen Armen breiteten sich dunkle Schweißflecken aus. Seine einfache dunkelrote Krawatte war gelockert und hing schief über dem Hemd, das bis unter den Adamsapfel aufgeknöpft war. Offenbar bemerkte er Prues Erstaunen, denn er schob rasch den Krawattenknoten etwas höher und strich sich ein paar fettige Haarsträhnen über die kahle Stelle. »Mein Name ist Lars. Lars Svik. Gouverneurregent von Südwald.« Lars streckte seine Hand zwischen zwei Aktentürmen hindurch, und Prue trat vor, um sie zu schütteln.
»Guten Tag«, erwiderte sie. »Ich bin Prue.«
»Ja, ja«, sagte der Gouverneurregent und blickte wieder auf den Schreibtisch, auf den der Attaché ihm den Zettel mit seinen
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