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Wildwood

Wildwood

Titel: Wildwood Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Meloy
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bestanden, dass sie für ein besonders beliebtes Buch auf die Warteliste der Bücherei gesetzt worden war. »Wahrscheinlich schon«, sagte Prue, »aber so genau weiß ich das nicht. Ich bin erst zwölf.«
    Der Offizier hatte kaum Zeit, ein unzufriedenes »Hrrrm « zu antworten, bevor die Flügeltür am anderen Ende des Foyers mit Schwung geöffnet wurde und der Attaché in die Halle stürmte, eine ganze Reihe von Gehilfen und Schmarotzern auf den Fersen. Prompt setzte die inzwischen wohlbekannte Stimmen-Kakofonie ein, und sämtliche Wartende im Raum sprangen hektisch los, um sich erneut zum Attaché durchzukämpfen, ehe er wieder verschwand. Auch der Offizier und der Dachs neben Prue lösten sich vom Treppengeländer und schrien dem erschöpften Attaché ihre Anliegen zu.
Nach einer Schrecksekunde hatte Prue sich wieder gefangen. Hals über Kopf stürzte sie sich selbst in das Gewühl und stieß einen Fuchs mit rotem Schwanz beiseite, der auf und ab hüpfte, um einen Blick über die Köpfe zu erhaschen. »Tschuldigung!«, rief sie, als sie von der Menge praktisch hochgehoben und mitgerissen wurde. »Herr Attaché!« Sie fuchtelte mit ihren Händen wild über ihrem Kopf. Die meisten Geschöpfe um sie herum waren viel größer als Prue, und sie war vollauf damit beschäftigt, das Zentrum des Ansturms im Auge zu behalten: den heiß umkämpften Attaché mit seinem Papierstapel, der sich nach Kräften darum bemühte, die flehentlichen Rufe der ihn belagernden Massen nicht zu beachten. Ein leuchtend bunter Heiligenschein aus Vögeln umkreiste seinen Kopf und zwitscherte um Aufmerksamkeit. »Herr Attaché!«, wiederholte Prue etwas lauter. Sie spürte einen spitzen Ellbogen zwischen den Rippen, als noch weitere Wartende herandrängten.
    »Herr Attaché!«, brüllte sie nun so laut sie nur konnte. »Ich muss mit dem Gouverneur sprechen! Mein Bruder wurde entführt! Herr Att- uff !« Prue blieb die Luft weg. Ein gedrungener, um sich schlagender Biber war aus der Mitte rückwärts geschubst worden und rammte Prue seinen Kopf genau in ihren Bauch. Gemeinsam flogen sie der Länge nach aus dem Getümmel heraus und gingen zu Boden. Prue fluchte und stand auf. Entschlossen starrte sie dem Attaché und seinem wuselnden Tross nach, die inzwischen die Flügeltür erreicht hatten. Da fiel ihr plötzlich die Tröte wieder ein, die sie mitgenommen
hatte. Schnell riss sie die Klappe ihrer Umhängetasche auf und holte die Dose heraus.
    »HERR ATTACHÉ !«, brüllte sie ein letztes Mal, bevor sie den Griff der Hupe drückte.
    Plötzlich war der Raum von Lärm erfüllt. Trommelfell zerfetzendem, Haarspitzen aufstellendem Lärm. Der Fanfarenstoß dauerte unendliche Sekunden.
    Alles erstarrte zu Stein.
    Irgendwo fiel ein Stift klappernd zu Boden.
    Ein Schwarzbär in einer Gabardineweste geriet in Panik und floh durch die Vordertür.
    Ganz langsam drehte sich die verstummte Menge zur Quelle des Übels um; Prue stand allein mitten in der Halle und war selbst ziemlich überrascht von der Lautstärke der Hupe. Sie räusperte sich. »Ähm«, begann sie leise, »Herr Attaché, ich … äh … muss mit dem Gouverneur sprechen.« Immer noch verharrte alles wie gelähmt um den Attaché herum, und Prue fand es ziemlich unheimlich, von sämtlichen Anwesenden angestarrt zu werden. Endlich regte sich etwas. Irgendjemand bahnte sich einen Weg durch die Massen. Es war der Attaché mit seinem Papierstapel unter dem Arm. Er blieb stehen, und mit tief gefurchter Stirn musterte er Prue eingehend – abwechselnd über und durch seine Brillengläser.
    »Sie sind …«, begann er. »Sind Sie … aus der Außenwelt? «
    »Ja«, antwortete Prue. Sie steckte die Hupe zurück in die Tasche.
    »Ich … ich meine«, stammelte der Attaché, »aus der Außenwelt? «
    »Genau. Und der Grund, warum ich hier bin …«
    Der Mann unterbrach sie. »Wie sind Sie hergekommen?«
    Prue lächelte verkrampft, ihr gebanntes Publikum machte sie plötzlich nervös. »Ich bin gelaufen.«
    »Gelaufen?«, fragte der Attaché ungläubig. »Aber … das geht nicht! «
    Prue wusste nicht, was sie darauf sagen sollte.
    Offensichtlich völlig aus der Fassung schüttelte der Attaché den Kopf und rieb sich mit der freien Hand die Stirn. »Ich meine – ich meine … Das ist vollkommen unmöglich! Oder zumindest sollte es vollkommen unmöglich sein, außer – außer …« Er stockte und musterte Prue erneut, sprach dann aber doch weiter. »Irgendwo muss ein Riss sein, oder ein Loch in der Falle.

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