Wildwood
Räume verlassen. Curtis spürte, wie Maksims Krallen die Schultern seiner verrutschten Uniform zurechtrückten.
»Sie werden noch hineinwachsen«, sagte Maksim, offenbar unzufrieden mit der Passform. Dann ging er durch einen der vielen Gänge voran, die aus der Haupthalle abzweigten. »Hier entlang.«
Als sie wieder über der Erde angelangt waren, zuckte Curtis angesichts der Helligkeit des Tages zusammen. Die tief hängenden Morgenwolken hatten sich verflüchtigt, und das strahlende Licht, das durch die Bäume sickerte, jagte Curtis eine weitere Welle von Übelkeit durch den Körper, vom Kopf bis zum Bauch hinunter.
Maksim führte ihn über die offene Lichtung in den dichten Wald. Ein Grüppchen Soldaten, das einen widerspenstigen Pflock in den Boden hämmerte, hielt abrupt inne, als Maksim und Curtis auftauchten. Die Soldaten salutierten in Habtachtstellung. Als sie näher kamen, erkannte Curtis, dass der Gruß ihm galt, nicht Maksim.
»Was war das denn gerade?«, flüsterte er, als sie außer Hörweite der Soldaten waren.
»Eine angemessene Respektbezeugung vor Ihrem Rang. Immerhin sind Sie ein Offizier«, erklärte Maksim. Er blieb stehen und zeigte auf eines der Abzeichen auf Curtis’ Brust. Es war ganz schlicht: dicht gewebte Brombeerzweige, gekrönt vom breiten Blütenblatt einer Waldlilie, in dunkle Bronze gegossen. Neugierig piekte Curtis mit dem Finger daran herum und schob es auf der Jacke zurecht. »Ein Offizier«, wiederholte er leise. Maksim lief weiter.
»Wow … Moment mal«, dämmerte es Curtis. »Ein Off-offizier? Womit hab ich mir das denn verdient?«
»Da müssen Sie schon die Gouverneurin fragen.«
»Ich bin mir nicht sicher, wie gut Sie, also äh, über die menschliche Spezies informiert sind«, sagte Curtis, »aber streng genommen bin ich noch nicht volljährig. Ich werde im November zwölf. Ich weiß ja nicht, was das in Kojotenjahren bedeutet, aber in menschlichen Jahren bin ich minderjährig. Ein Junge. Ein Kind!« Curtis lief schnell, um mit Maksim Schritt zu halten. Er wartete auf eine Antwort. Als aber keine kam, fuhr er fort: »Und was heißt das jetzt?
Muss ich irgendwas machen? Ich hab ja schon gesagt, ich bin Pazifist. Eigentlich kann ich diesen Säbel gar nicht richtig benutzen. Welche Fechtkunst ich auch immer da vorhin vorgeführt habe, das war absolut reiner Zufall. Nur so Sachen, die ich mir in Filmen und so abgeschaut habe.«
»Ich gehe davon aus, dass alles sich aufklärt, wenn wir die Gouverneurin treffen«, entgegnete Maksim. Er schlug Zweige aus dem Weg und gab sich keine Mühe, die Gereiztheit in seiner Stimme zu verbergen.
Curtis drehte sich um und suchte zwischen den dichten Farnen nach dem Eingang zum Kojotenbau. Zu seinem Erstaunen verschmolzen sämtliche Einzelheiten des Lagers vollständig mit dem Wald, je weiter sie sich entfernten.
»Muss ich denn irgendwas … befehlen?«, fragte Curtis.
»Ich habe keine Ahnung. Ich bin selbst ein bisschen überrascht.«
»Wie sind Sie denn … Admutant geworden?«, fragte Curtis.
»Adjutant? Ich wurde dazu ernannt.«
»Und womit haben Sie sich das verdient?«
»Ich habe mich wohl ausgezeichnet«, sagte Maksim, »in der Schlacht.«
»Au weia«, sagte Curtis mit wachsender Besorgnis.
»Obwohl ich auch nicht als Kämpfer auf die Welt kam. Um die Wahrheit zu sagen, verdanke ich mein Leben und mein Schicksal der Gouverneurswitwe. Ich stamme aus einem armen Rudel im
Wald; mein Vater war in einer Schlammlawine getötet worden, und meine Mutter musste sich abschuften, um meine fünf Geschwister und mich durchzubringen. Wir waren am Verhungern, als die Gouverneurin uns fand. Sie hat uns ins Lager geholt; hat uns gefüttert und uns bauen und kämpfen gelehrt.« Maksim erzählte seine Geschichte ohne eine Spur von Sentimentalität. »Und deshalb würde ich mit Freuden mein Leben für die Gouverneurin geben. Sie hat unsere gesamte Spezies von unserem Los als Aasfresser und Parasiten befreit; sie hat uns Kojoten zu einem Ehrenplatz unter den Tieren des Waldes verholfen. Und wir werden mit am Tisch sitzen, wenn Wildwald uns gehört.«
»Ja«, sagte Curtis, »aber hören Sie mal, Maksim. Ich sehe total ein, dass das für Sie super ist, und ich finde Ihren Einsatz ganz großartig, aber wissen Sie, ich glaube, ich hab vielleicht noch nicht ganz das Zeug dazu, also, zum Offizier. Ich bin ja erst seit einem Tag hier und muss das alles erst noch begreifen.«
Da erklang eine Stimme, eine Frauenstimme, über ihnen. »Und genau
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