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Wildwood

Wildwood

Titel: Wildwood Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Meloy
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hoch genug, um sich von seiner Unterlage zu lösen.
    »Alexandra«, rief er. »Helfen Sie mir!«
    Die Gouverneurin, die ohne nennenswerten Erfolg immer weiter auf die Räuber geschossen hatte, wandte den Kopf. Sie begriff sofort, was er vorhatte, und kam angerannt. Sie legte sich neben Curtis und drückte ihre Mokassins ebenfalls gegen den Stamm.
    »Eins … zwei … drei!«, zählte Curtis, und mit vereinten Kräften stemmten sie sich gegen den Baum. Er ächzte laut, dann kam er in Bewegung und stürzte mit einem ohrenbetäubenden Krachen in die Schlucht. Alexandra und Curtis sprangen auf die Füße und sahen, wie er die Steilwand hinabpolterte. Mit jeder Umdrehung wurde er noch schneller. Ein paar wenige Räuber schafften es gerade noch, geistesgegenwärtig aus dem Weg zu hechten. Dann prallte der Baum auch schon auf die Haubitze und ließ eine Fontäne von Splittern und Rinde hoch in die Luft spritzen. Das Geschütz brach von seinem Fahrgestell und schlug auf dem Boden auf; der wuchtige Zedernstamm blieb schließlich auf seinem Rohr liegen. Die Räuber der Haubitzenmannschaft – die wenigen, die noch übrig waren – rannten in die Schlucht hinunter und verschwanden im Gebüsch.
    Curtis sprang auf und ab. »Heilige … heilige …«, stotterte er, »heiliger STROHSACK! Ist das gerade wirklich passiert?« Alexandra lächelte.

    Da lenkte sie der durchdringende Ton eines Signalhorns von ihrem Triumph ab. Mit einem Schlag waren die Räuber auf dem Rückzug, kletterten hastig die gegenüberliegende Böschung hinauf und rannten zurück in die Wälder. Die übrig gebliebenen Kojotensoldaten verfolgten sie kurz und erledigten unterwegs noch ein paar der Nachzügler, bevor sie jubelnd die Arme in die Höhe reckten. Die Schlucht gehörte ihnen.

    Prue hievte sich aus dem Kanalschacht, setzte sich auf die Kante und sah sich um; über ihr erstreckte sich das Laubdach des Waldes, und die wenigen Sterne des frühen Abendhimmels schimmerten durch das Astwerk.
    Sie hatte kaum Zeit gehabt, sich darüber zu wundern, dass es mitten im Wald einen Kanalschacht gab – auf dessen Deckel EIGEN-TUM VON SÜDWALD, ABWASSERAMT stand –, als sie ein seltsames hölzernes Klappern hinter sich vernahm. Sie sah sich um und entdeckte eine knallgelbe Rikscha, die von einem Dachs gezogen wurde.
    »Hallo«, grüßte der Dachs und hielt an.
    »Hallo.«
    Der Dachs blinzelte und warf einen Blick in den Kanalschacht. »Bist du da gerade rausgeklettert?«, fragte er verwirrt.
    Prue drehte sich zu dem Loch um. »Ja.«
    »Aha«, meinte der Dachs überrascht. Dann schien er sich wieder
an sein Gewerbe zu erinnern und fragte: »Kann ich dich irgendwo hinfahren?«
    »Eigentlich ja.« Prue zog den Brief des Uhus aus der Tasche. »Ich muss in die Rue Thurmond. Nummer sechsundachtzig. Ist das weit?«
    »Nein, nein, überhaupt nicht weit. Nur ein Stück die Straße rauf.« Er deutete mit dem Kopf auf die Rikscha. »Hüpf rein, ich bring dich hin.«
    »Aber ich habe kein Geld«, sagte Prue.
    Der Rikschafahrer überlegte einen Moment. »Ach, das macht nichts. Du bist mein letzter Fahrgast heute, das liegt auf meinem Heimweg.«
    Prue bedankte sich herzlich und setzte sich auf den gepolsterten Sitz der Rikscha. Der grelle gelbe Anstrich des Gefährts wurde durch leuchtend rote Muster noch betont, während vom Dach kleine gestrickte Gegenstände baumelten. Nach einem kurzen Warnruf des Dachses – »Könnte holprig werden!« – setzte sich die Rikscha in Bewegung, und im Nu rumpelten sie in raschem Tempo über den Waldboden. Sie bogen ein paar Mal ab, dann folgten sie einem ausgetretenen Weg, an dessen Seiten allmählich kleine, baufällige Hütten auftauchten. Nach einer Weile wurde der Trampelpfad von Kopfsteinpflaster abgelöst, und der Wegesrand wurde von einer imposanten Reihe vornehmer Stadthäuser gesäumt, durch deren Erkerfenster der Schein von Kronleuchtern aufs Pflaster fiel.

    »Ganz schön nobel hier«, bemerkte der Rikschafahrer trocken. »Dein Bekannter ist wohl nicht gerade arm.«
    Dann stieg die Straße an, und der Dachs senkte angestrengt den Kopf, um das Gefährt den Hang hinaufzuziehen. Als sie oben angekommen waren, hielt er vor dem prächtigsten Haus in der Straße an – einem dreistöckigen Prunkbau aus alabasterweißem Stein. Das Fenster im Erdgeschoss war von Stuck eingerahmt, mit zwei kunstvoll modellierten Posaunenengeln. Warmes Licht drang durch die zugezogenen Vorhänge, und über der Eingangstür hing ein Schild mit der Nummer

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