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Wildwood

Wildwood

Titel: Wildwood Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Meloy
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von Gängen, die nur von in großen Abständen aufgehängten, flackernden Gaslichtern beleuchtet waren. An manchen Stellen wirkten diese Gänge lediglich wie Verbindungsstücke zwischen anderen Korridoren, dann wieder wurden sie offenbar als Speise- oder Vorratskammern
genutzt, in deren Regalwänden Mehlsäcke und unzählige Weckgläser mit seltsamem Gemüse lagerten. Nach der fünften Abzweigung hatte Prue völlig die Orientierung verloren und folgte einfach Pennys gemurmelten Anweisungen »Hier entlang« und »Komm schnell«. Schließlich standen sie vor einer besonders alt aussehenden Tür, hinter der eine ausgetretene, in die Finsternis hinabführende Steintreppe zum Vorschein kam. Aus einer Schachtel auf dem Boden holte Penny zwei Kerzen, entzündete sie an einer Gaslampe und gab eine davon Prue.
    »Was ist das?«, flüsterte Prue.
    »Der Eingang zu den Tunneln«, erklärte Penny. »Sie führen überallhin. Auch in die Stadt.«
    »Aber was ist mit dem Tee? Wartet der Gouverneur nicht auf dich?«
    Penny grinste. »Der ewig Schlaflose? Er wird ’s verkraften.«
    »Danke. Dass du mir hilfst. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.«
    »Hör mal«, meinte Penny, »ich könnte deswegen wirklich große Schwierigkeiten kriegen. Aber ich glaube fest daran, dass man manche Sachen einfach tun muss. Und wenn der Kronprinz dich sehen will, dann gehst du eben hin. Das ist auf jeden Fall besser, als da oben in dem Gästezimmer zu verstauben.« Sie sah Prue eindringlich an. »Ich kann dich so gut verstehen. Wenn ich mir nur vorstelle , wie es ist, einen Bruder zu verlieren.« Seufzend hielt sie die Kerze in den
Türrahmen, um die Stufen zu beleuchten. Eine schwache Brise, kalt und geräuschlos, kroch durch die Öffnung, und es roch nach modrigen, feuchten Steinen. »Geh du voran.«
    Prue trat auf die erste der Treppenstufen, die von unendlich vielen und längst vergessenen Schritten blank getreten worden waren. Die Luft war klamm, und Prue fröstelte. Penny schloss die Tür hinter sich und folgte ihr. Die Kerzen in ihren Händen warfen zuckende Schatten auf die Ziegelwände.
    Am Fuße der Treppe traf der Korridor auf einen einzelnen Gang, der in beide Richtungen in stockfinstere Schwärze führte. Die Mauern strahlten eine dumpfe Kälte ab und hier und dort floss Wasser in kleinen Rinnsalen von der gewölbten Decke. Der Fußboden bestand aus feiner, grauer Erde, und Prue spürte, wie die Kälte ihre Schuhe durchdrang.

    Nach einer Weile veränderte sich der Tunnel; statt aus rotem Ziegel und Mörtel war er nun aus grob behauenem Stein und Granit gebaut. Manchmal schien er sogar direkt aus dem unterirdischen Felsgestein gehauen zu sein. Die Decke war streckenweise sehr hoch und hatte etwas Höhlenartiges; dann wieder mussten die Mädchen sich bücken und durch niedrige Gänge kriechen. Nach einer kleinen Ewigkeit erreichten sie eine Kreuzung, und Penny deutete mit der Kerze in den neuen Korridor. »Weiter komme ich nicht mit«, sagte sie. »Ich sollte jetzt doch mal den Tee servieren. Geh dort entlang, bis du eine Leiter siehst – die bringt dich zur Oberfläche. Von da an musst du allein zurechtkommen.«
    »Vielen, vielen Dank«, sagte Prue. »Ich weiß nicht, was ich ohne dich gemacht hätte.«
    »Ach, nicht der Rede wert«, entgegnete Penny. »Ich weiß, dass du ihn finden wirst, deinen Bruder.« Sie lächelte und wandte sich zum Gehen. Der Lichtkranz ihrer Kerze verlor sich rasch in der Dunkelheit des Tunnels.
    Prue lief weiter und fand binnen Kurzem die Leiter, die Penny beschrieben hatte. Die Sprossen waren abgesplittert und ausgetreten und bogen sich unter Prues Gewicht, als sie vorsichtig hochkletterte. Durch eine lange Röhre in der Decke des Tunnels gelangte sie zu einer Art Kanaldeckel. Auf die Sprossen gestützt wuchtete Prue
die Abdeckung hoch und schob sie zur Seite. Frische Luft strömte unvermittelt herein, und sie atmete tief durch. Dann streckte sie vorsichtig den Kopf aus der Öffnung und sah sich um.
    Sie war zurück im Wald.

ELF
Ein ruhmreicher Soldat · Audienz bei einem Uhu
    C urtis stützte sich auf die Ellbogen und begutachtete sein Werk. Die Kojotensoldaten – Sekunden vorher noch in eine erbarmungslose Schlacht verwickelt – waren starr vor Staunen: Ihre Gegner waren wie durch ein Wunder verschwunden. Die Kanonenkugel hatte eine Schneise durch das Unterholz gerissen, die Schlucht überquert und ihren Weg auf der anderen Seite fortgesetzt. Mehrere Räuber lagen regungslos auf dem Boden. Curtis

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