Wildwood
dem Arm.
»Auf Wiedersehen, Phil«, sagte er zu jemandem in dem Raum.
»Wiedersehen«, ertönte die Antwort von drinnen.
Prue blieb wie angewurzelt stehen. Ohne ein vernünftiges Versteck in der Nähe blieb ihr nichts anderes übrig, als stocksteif mitten auf dem Flur zu verharren und zu beten, dass der junge Mann sich nicht umdrehen und sie bemerken würde. Zu ihrer ungeheuren Erleichterung tat er das tatsächlich nicht; offenbar war er vollauf damit beschäftigt, nach Hause zu kommen, sodass er einfach um die Ecke verschwand. Prue rührte sich immer noch nicht, sondern
schielte aus dem Augenwinkel durch die geöffnete Tür in den Raum hinein. Dort saß ein anderer Mann am Schreibtisch, der ganz in seine Arbeit vertieft war. Eine grüne Lampe war auf die Papiere vor ihm gerichtet, und hin und wieder tauchte er eine Feder in ein Tintenfass.
Eilig huschte Prue durch den Lichtkegel, der aus dem Zimmer fiel. Sie traute sich kaum, zu atmen. Doch als sie niemanden nach ihr rufen hörte, wagte sie es, noch schneller zu laufen.
Der Teppich endete vor einer großen Holztür, und Prue öffnete sie einen Spalt. Dahinter war die Treppe zu sehen, die in die Eingangshalle hinunterführte. Nach all dem fieberhaften Betrieb, den Prue dort am Nachmittag erlebt hatte, herrschte nun eine fast unheimliche Ruhe. Die Doppeltür zum Ostflügel hin war geschlossen. Davor saß ein Labrador in heller Baumwollhose auf einem Stuhl und schlummerte geräuschvoll.
Prue schob die Tür ganz auf und schlich zum Treppenabsatz. Dann stieg sie so leise wie möglich Stufe für Stufe hinunter. Halb gehend, halb rennend überquerte sie schließlich den Marmorfußboden mit dem Schachbrettmuster und hatte es schon beinahe zur Eingangstür und in die Freiheit geschafft, als sie plötzlich die laute und tadelnde Stimme eines Mannes hörte:
»Was soll denn das?«
Ein Ruck durchfuhr Prues gesamten Körper.
»Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass der Gouverneur Sahne in seinen Kamillentee nimmt?«, fuhr die Stimme fort.
Prue sah vorsichtig über die Schulter und entdeckte hinter einer der Türen des Foyers einen Mann – eine Art Butler –, der gerade eine Standpauke hielt. Und im trüben Lampenlicht des kleinen Raums erkannte Prue, dass die Gescholtene keine andere als Penny war. Der Mann hielt ein Tablett mit einer Teetasse und einem Kessel darauf.
»Verzeihung«, antwortete Penny verlegen. »Es kommt nicht wieder vor.«
In diesem Moment hob Penny die Augen – und blickte direkt in Prues Gesicht. Ihre Augen weiteten sich; genau wie Prues. Prue war wie gelähmt. Sie starrten einander an. Dann sprach der Butler wieder.
»Das will ich dir auch geraten haben. Sonst heißt es zurück in die Spülküche – und das wäre noch milde!«
Penny sah den Mann an. »Ja, ist gut. Verstanden. Geben Sie mir nur den Tee, ich bringe ihn dem Gouverneur.«
Mit einem abfälligen Schnauben händigte der Butler ihr das Tablett aus. Dann verließ er den Raum durch eine weitere nach hinten führende Tür, wobei er Prue die gesamte Zeit über den Rücken zuwandte. Als er weg war, machte Penny ihrer Überraschung Luft.
»Was machst du hier?«, flüsterte sie aufgeregt.
Prue erkannte, dass sie keine andere Wahl hatte, als die Wahrheit zu sagen.
»Ich muss mich mit Uhu Rex treffen«, wisperte sie zurück. »Er
hat mir eine Nachricht geschickt, dass ich zu ihm kommen soll. Heute Abend!« Beschämt bohrte sie die Fußspitzen in den Fußboden. »Und ich habe jemanden in mein Badezimmer eingesperrt, diesen Hund, der mich, glaube ich, bewachen sollte. Könnte sein, dass ich Ärger bekomme.«
»Du hast was?«, fragte Penny entsetzt.
»Ich … ich hab ihn im Bad eingeschlossen. Ist schon okay, ich hab ihm eine Tüte Studentenfutter hingelegt, falls er Hunger kriegt.«
Penny war einen Moment lang sprachlos. Schließlich zischte sie: »Geh nicht da lang! Draußen steht alle fünf Meter ein Wachposten.«
Prue drehte sich zu der Eingangstür vor ihr um. Wieso um Himmels willen hatte sie daran nicht gedacht? »Au weia.«
Penny verdrehte die Augen. »Was hattest du denn vor, wolltest du die auch alle im Bad einsperren? Komm hier entlang.«
Also lief Prue in den kleinen Raum, der eine Art Dienstbotenzimmer zu sein schien. Unterdessen hatte Penny das Tablett abgestellt und öffnete die schmale Tür, durch die der Butler verschwunden war. Sie steckte den Kopf um die Ecke. Die Luft war rein, und sie bedeutete Prue, ihr zu folgen.
Penny führte Prue durch ein enges Labyrinth
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