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Wildwood

Wildwood

Titel: Wildwood Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Meloy
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anzuhalten. Nistest du gern dort? Ist es bequem?«, fragte Uhu Rex.
    »Ja, schon«, sagte Prue. »Ich wurde da geboren, und meine Eltern leben dort, also habe ich eigentlich gar keine andere Wahl. Aber es
ist ganz nett.« Sie überlegte kurz, bevor sie fortfuhr: »Die meisten Menschen – und Tiere –, denen ich begegnet bin, waren überrascht, mich hier zu sehen. Sie scheint das allerdings nicht so aus den Socken zu hauen.«
    »Ach, Prue, wenn man so alt ist wie ich, hat man viel, viel Seltsames und Wunderbares gesehen. Und je mehr Seltsames und Wunderbares man sieht, desto seltener wird man, um es mit deinen Worten zu sagen, ›aus den Socken gehauen‹.« Der Uhu hob einen seiner gescheckten Flügel, pickte leicht an der Unterseite und klappte ihn dann wieder ein.

    Prue nutzte die Gesprächspause, um endlich jene Frage auszusprechen, die ihr auf der Seele brannte, seit sie ins Haus gekommen war: »Herr Rex, wissen Sie, was die Krähen mit meinem Bruder gemacht haben?«
    Der Uhu seufzte. »Zu meinem größten Kummer weiß ich das leider nicht. Wenn es stimmt, was du sagst, dass nämlich die Krähen verantwortlich für die Entführung deines Bruders sind, dann habe ich genauso viel Macht, die Übeltäter zu suchen und zu belangen, als wenn es die Salamander gewesen wären.«
    Prue begriff nicht ganz.
    »Weißt du«, erklärte der Kronprinz, »die Krähen – mitsamt ihren Unterarten – haben sich vor einigen Monaten aus dem Vogelfürstentum abgesetzt. Sie waren immer schon Unruhestifter, neigten zu Unfug und kleineren Diebstählen und hingen zudem offenbar dem Irrglauben an, über ihren gefiederten Brüdern und Schwestern zu stehen. Daraus entsprangen Unabhängigkeitsbestrebungen. Selbstverständlich kämpften wir in dieser Angelegenheit über die Jahre hinweg immer wieder gegen sie an, was sie jedoch nicht davon abhalten konnte, eines Nachmittags im Juli unser Fürstentum geschlossen zu verlassen. Und bedauerlicherweise haben wir seither sehr wenig von ihnen gehört.«
    Das rhythmische Flattern hinter ihrem Sessel machte Prue darauf
aufmerksam, dass der Tee da war. Dankbar nahm sie Tasse und Untertasse aus den Krallen eines der beiden Diener entgegen. Ein Tablett wurde herbeigeflogen und vorsichtig auf einem Tischchen neben Prues Sessel abgestellt; einer der kleinen Vögel hob die Kanne hoch und goss die dunkle Flüssigkeit in die Tasse, die Prue in der Hand hielt. Bedrückt rührte sie ein Stückchen Zucker in den Tee. Sie war entmutigt, hatte sich doch mit den Ausführungen des Uhus eine weitere mögliche Spur zerschlagen.
    Uhu Rex spürte ihre Verzweiflung. »Aber das heißt nicht, dass wir uns keine großen Sorgen um ihren Verbleib machen. Offen gestanden macht ihre Torheit uns im Augenblick schwer zu schaffen. In den vergangenen Monaten wurden nämlich die isolierten Siedlungen im Norden – an der Grenze zu Wildwald – wiederholt von vagabundierenden Banden bedroht, die unsere Vogelbürger als ›Kojotensoldaten‹ beschreiben. Ausgerechnet Kojoten, die wie kein anderes Geschöpf des Waldes für ihre mangelnde Organisation und Verwahrlosung berüchtigt sind, sollen sich irgendwie zusammengetan und eine geschlossene Streitmacht gebildet haben. Würde mir das Wohlergehen meiner Untertanen nicht so viel bedeuten, wäre ich der Erste, der solche Berichte als vollkommen unglaubwürdig abtut. Doch ich habe die Geschichten gehört, Prue, ich habe die leidenden Familien gesehen, deren Nester zerstört, deren Heimatbäume gefällt, deren Lebensraum geplündert wurden. Das alles kann man nicht einfach ignorieren.

    Unsere Abgesandten haben wieder und wieder in der Villa Pittock um Erlaubnis für Vergeltungsschläge gegen diese Kojotenbanden ersucht, um unsere Untertanen und unsere Grenzen zu verteidigen – doch wir wurden stets abgewiesen. Ich selbst habe vorgesprochen, um darum zu bitten, die Ergänzungen zu den Wildwaldkonventionen – die uns Militäreinsätze innerhalb Wildwalds verbieten – für eine Weile auszusetzen. So lange, bis unsere Grenzen wieder sicher sind. Und jetzt erfahre ich von Krähen, undankbaren, aggressiven Krähen, die ein Außenweltkind verschleppen und nach Wildwald bringen, was eindeutig illegal ist und ein sehr schlechtes Licht auf die Vögel im Allgemeinen wirft. Ich bin ebenso wütend und enttäuscht über diese Situation wie du, Prue. Und da die Villa den Status der Krähen als Splittergruppe nicht anerkennt, könnten ihre Machenschaften unsere gesamten Bemühungen zum Scheitern

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