Wildwood
gehört, also wollte ich, äh, mal nachsehen.«
Mac weinte immer noch.
Mit festen, strengen Schritten kam Alexandra auf Curtis zu. Die Krähe auf ihrem Arm flog davon. Alexandra zog Mac aus Curtis’ Umklammerung, wiegte ihn und tröstete ihn leise. »Na, na«, sagte sie. »Nicht weinen.«
»Sie …«, setzte Curtis an. »Sie wussten davon?« Ein Tropfen Blut war über seine Stirn gelaufen und blieb jetzt in seiner Augenbraue hängen.
Alexandra schaukelte das Kind auf ihrem Arm unablässig hin und her, ohne den Blick davon zu lösen, und Mac beruhigte sich langsam.
»Sie wussten davon?«, wiederholte Curtis etwas deutlicher.
Seine Stimme erschreckte Mac und er begann, erneut zu wimmern.
Alexandra sah Curtis wütend an. »Nicht so laut, Curtis. Du hast das Kind schon genug aufgeregt.« Die Krähe auf ihrer Schulter schnappte mit dem Schnabel nach Curtis.
»Aber«, protestierte er hilflos, »warum haben Sie … wie haben Sie …« Schließlich beendete er sein Gestotter mit: »Ich bin einfach verwirrt.«
Alexandra lächelte ihn schief an und ging an ihm vorbei zur
Wiege. Besänftigend flüsterte sie auf das Baby ein und bettete es auf das weiche Scheinbeerenlaub, mit dem die Wiege ausgekleidet war. Dann legte sie Mac einen Finger auf die Lippen, machte noch einmal schsch und nahm Curtis beim Arm.
»Ich war noch nicht bereit, dir das zu zeigen, Curtis.« Sie führte ihn von der Wiege fort. »Aber nun habe ich wohl keine andere Wahl mehr.« Durch die Anwesenheit der Gouverneurin hatten sich die Krähen über ihnen etwas beruhigt und größtenteils den Raum durch das Loch in der Decke verlassen.
»Die Zeiten sind schwierig«, sagte Alexandra. »Schwierig und verworren. Letzten Endes wird dir alles einleuchten – aber ich kann deine momentane Bestürzung nachvollziehen.«
»Warum haben Sie mir nichts gesagt?«, flehte Curtis. »Ich meine, Sie wussten doch, warum ich überhaupt hierhergekommen bin. Warum haben Sie es geheim gehalten?«
»Ich hätte es dir nicht erzählen können, Curtis. Denk doch nur, welch ein Schock das gewesen wäre – ehe du dich in Wildwald richtig eingewöhnt hattest. Nein, ich musste dir erst etwas Zeit geben – aber glaub mir, ich wollte dir alles sagen. Ich hätte mir zwar gewünscht, dass du deine Siegesfeier noch etwas länger genießen kannst, aber nun gut: Wir können es genauso auch jetzt besprechen.«
Unvermittelt blieb Alexandra vor dem Eingang der Kammer stehen, legte Curtis die Hände auf die Schultern und sah ihm direkt in die Augen. »Manchmal«, begann sie, und ihr milder Tonfall wurde
streng, »manchmal wird man gegen seinen eigenen Willen in eine Lage gezwungen, die es erforderlich macht, dass man mit allen zur Verfügung stehenden Waffen zurückschlägt – selbst wenn es auf Kosten anderer geht. Das haben mir diese verkommenen Schurken in Südwald angetan; sie haben mir meine Würde genommen, meine Macht. Und deshalb werde ich mir beides nicht nur von ihnen zurückholen, sondern ihnen Gleiches entreißen. Und alles, was ich zu diesem Zweck unternehme – auch wenn es als unmoralisch oder widerstreitend angesehen werden mag –, ist lediglich die Konsequenz ihrer törichten Entscheidungen. Kannst du mir folgen?«
Curtis schniefte. »Nicht so ganz.«
Alexandra lächelte. »Dieses Kind gehört rechtmäßig mir. Es steht mir zu. Auf diesen Moment habe ich dreizehn lange Jahre gewartet. Dreizehn bittere Jahre. Curtis, das Kind ist der Schlüssel zu meinem – zu unserem – Erfolg in diesem Kampf. Erinnerst du dich noch an unsere Unterhaltung vorhin? Wir sprachen davon, zu herrschen, du und ich. Auf den Trümmern von Südwald. Davon, diesem Land die natürliche Ordnung, die natürliche Führung zurückzugeben, mit mir als Königin und dir an meiner Seite. Weißt du noch?«
Curtis nickte trübselig.
»Tja, ohne dieses Kind dort, dieses brabbelnde, unverständige Wesen, ist das nicht möglich.« Sie deutete auf Mac, der in seiner primitiven Wiege versonnen mit einem kleinen Ast spielte. Dann drehte sie sich wieder zu Curtis um und nahm sein Kinn zwischen
Daumen und Zeigefinger. »Dieser Junge dort wird uns zum Sieg verhelfen.«
Curtis nickte erneut, bevor er fragte: »Wie denn?«
»Der Efeu, Curtis. Wir brauchen das Kind, um ihn für uns nutzbar zu machen.«
»Den Efeu? Die Pflanze meinen Sie?«
Alexandra schloss kurz die Augen und atmete tief ein. »Curtis«, sagte sie, »das klingt jetzt wahrscheinlich schlimm für dich.« Ihre Finger strichen über seine Wangen
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