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Wildwood

Wildwood

Titel: Wildwood Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Meloy
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und sie wischte ihm ein Blutströpfchen ab. »Das Kind muss als Opfer dargeboten werden. Als Opfergabe an den Efeu.«
    »W-was bedeutet das?«
    Ihre Stimme nahm einen monotonen, entrückten Tonfall an, als zitierte sie aus uralten heiligen Schriften: »An der herbstlichen Tagundnachtgleiche, in drei Tagen, wird der Leib des zweiten Kindes auf den Sockel der Ahnen gelegt. Auf meine Beschwörung hin werden die Ranken hervortreten und sein Fleisch verzehren und sein Blut trinken. Das durch die Ranken des Efeus strömende Menschenblut wird ihm eine unschätzbare Kraft verleihen, und mehr noch, es wird die Pflanze meinem Befehl unterwerfen. Wenn wir gegen Südwald marschieren, brauchen wir nur dem Pfad der Zerstörung zu folgen, den der Efeu hinterlässt.« An dieser Stelle nahm Alexandra die Hand von Curtis’ Wange, um ihre Erklärung mit einem Fingerschnippen abzurunden.

    »So einfach«, sagte sie.
    Schnipp .
    »Ist das.«

ZWEITER TEIL

DREIZEHN
Ein Spatz in der Hand · Wie ein Vogel im Käfig
    W ildes Geflatter. Schrilles Zersplittern von Glas. Gezwitscherter Protest und barsche Anweisungen. All diese Dinge setzten sich in Prues Geist zu einem klaren Bild zusammen, während sie reglos in dem Weidenkorb hockte und zuhörte, wie das Wohnzimmer von Uhu Rex rabiat auseinandergenommen wurde. Die Suchmannschaft ging offenbar methodisch vor; die SARG-Polizisten stießen Stühle um, knallten
Türen, warfen Bücherregale auf den Boden und kamen dabei Prues Versteck langsam, aber stetig näher. Ihr blieb nicht mehr viel Zeit.
    Also nutzte sie das Gepolter, um unauffällig ihr Gewicht zu verlagern und vorsichtig die obersten Zeitungen unter ihren Füßen hervorzuziehen. Während der Ruhepausen, die die Polizisten zwischen ihren Anstrengungen einlegten, hielt sie inne und starrte atemlos auf die Lichtstreifen, die durch die Schlitze im Korb hereindrangen, bis der Suchlärm wieder einsetzte. Gerade als die Schritte ganz dicht vor ihr ankamen, gelang es ihr endlich, mehrere gefaltete Bögen nach oben zu ziehen und sich auf den Kopf zu legen. Kaum hatte sie das geschafft, rief eine Stimme: »Was ist hiermit?«
    »Womit?«, ertönte eine andere Stimme nur Zentimeter von Prue entfernt.
    »Vor deiner Nase, du Idiot! Der Korb da!«
    »Ach so. Da wollte ich gerade nachsehen.«
    Es wurde schlagartig hell. Prue kniff die Augen zu und versuchte, sich unsichtbar zu machen.
    »Na sieh mal einer an«, sagte die Stimme. »Was haben wir denn da?«
    Prue riss die Augen wieder auf.
    Eine Hand griff in den Korb und machte sich an den Zeitungen auf ihrem Kopf zu schaffen. Plötzlich schlug der Deckel wieder zu. Prue merkte, dass das Gewicht auf ihrem Scheitel ein bisschen weniger geworden war.

    »Jonesy und sein putziger kleiner Garten! «, verkündete der Polizist mit unverhohlenem Sarkasmus. »Titelseite des berühmten Heim- und Gartenteils.«
    »Was?«, ertönte eine andere Stimme.
    »Ja, seht euch das an: Jonesy hat letzte Woche eine hübsche, glänzende Medaille vom Gouverneurregenten gekriegt für – haltet euch fest! – für seine preisgekrönten Pfingstrosen .«
    Der ganze Raum brach in schallendes Gelächter aus. Stiefel trampelten heran und eine Salve von fröhlichen Bemerkungen ging los:
    »Hut ab, Jonesy!«
    »Oho! Das ist aber eine schicke Schürze, die du da anhast!«
    »Also, wie du diese Pfingstrosen im Arm hältst, Jonesy, sehr mütterlich.«
    Jetzt war auch die Zielscheibe all dieses Spotts beim Korb angekommen, und dem Geräusch nach zu urteilen riss Jonesy dem Witzbold das belastende Material aus der Hand. »Meine Frau wollte unbedingt, dass ich da mitmache!«, war die schwache Entschuldigung des Mannes.
    Noch lauteres Johlen. Prue konnte die hochroten Wangen des armen Jonesy praktisch durch das Weidengeflecht hindurch spüren. »Ich – also, wisst ihr …« Schließlich gab er auf. »Ach, ihr könnt mich mal! Alle!« Dröhnende Heiterkeit. Blitzschnell wurde der Korb aufgeklappt und die Zeitung kräftig auf den Stapel auf Prues Kopf
gedrückt. Der Deckel schlug zu. »Jetzt aber Schluss mit lustig!«, rief Jonesy. »Abmarsch an die Arbeit.«
    Das Gelächter verebbte zu einem Kichern, während sich die Schritte und Stimmen wieder im Raum verteilten. Noch mehr Türen wurden geknallt, noch mehr Möbel umgeworfen und noch mehr Kommentare über Jonesy geraunt, aber Prue schenkte all dem kaum noch Beachtung; sie war vollauf damit beschäftigt, tausend Dankesgebete an das Schicksal, die Göttin oder welchen Heilsbringer auch immer

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