Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wildwood

Wildwood

Titel: Wildwood Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Meloy
Vom Netzwerk:
Vögeln waren, deren Fliegen, Kreisen und Flattern sich zu einem ohrenbetäubenden Lärm zusammenballte.

    In diesem Moment glitt etwas über seine Schulter, nur knapp am Stoff seiner Uniform vorbei. Instinktiv hechtete er zur Seite und schlug unsanft mit der Scheide seines umgeschnallten Säbels gegen die Erdwand des Tunnels. Eine einzelne schwarze Feder schwebte träge dort zu Boden, wo er gerade noch gestanden hatte.
    Curtis richtete sich auf und zückte die Klinge.
    »Im Ernst jetzt! Wer ist da?«, rief er nervös.
    Und das war der Moment, als er das Weinen eines Babys hörte. Das spitze, kurze Schreien eines Kleinkindes, das durch das gehetzte Flügelschlagen der Vögel drang. Curtis blieb das Herz stehen.
    »Oh Mann«, flüsterte er und lief schneller.
    Der Gang mündete in eine große, beinahe eiförmige Kammer und war bis zur Decke voll mit Krähen. Pechschwarzen, teerschwarzen Krähen. Dutzende, hunderte, die kreisten und schwebten, zankten und krächzten. Das Licht der wenigen Fackeln an der Wand schimmerte auf ihrem ölig dunklen Gefieder. An der höchsten Stelle des Raums befand sich eine kleine Öffnung, durch die noch mehr Krähen kamen und verschwanden.
    Mitten in der Kammer stand eine kleine, schlichte, aus bemoosten Buchenruten geflochtene Wiege. Und in dieser Wiege lag ein pausbäckiges, brabbelndes Baby, dessen Blick angesichts der wirbelnden Krähenwolken über seinem Kopf zwischen Angst und Erstaunen schwankte. Sein brauner Cordstrampler war voller Erde und – wie es aussah – Vogeldreck.

    Curtis klappte die Kinnlade herunter. »M-Mac?«, stotterte er.
    Das Kind sah Curtis an und krähte. Da löste sich eine einzelne Krähe aus der flatternden Masse und landete auf dem Rand der Wiege – einen langen, dicken, sich windenden Wurm im Schnabel. Zu Curtis’ größtem Abscheu ließ der Vogel den Wurm in Macs offenen Mund fallen. Mac mampfte zufrieden.
    »Igitt«, flüsterte Curtis und sein Magen drehte sich um.
    Ihm schwirrte der Kopf; wusste die Gouverneurin davon? Ahnte die Kojotenkompanie, dass diese Eindringlinge hier im Bau waren? Er war sich ganz sicher, dass Alexandra das nicht hinnehmen würde, wenn sie erst davon wüsste.
    »Mac, ich bring dich hier raus«, sagte Curtis entschlossen und riss sich aus seiner Erstarrung. Mit gerecktem Säbel marschierte er auf die merkwürdige Wiege zu. Die Krähen fühlten sich von dem Störenfried bedroht und begannen, wie verrückt zu kreischen und zu schreien. Einige attackierten ihn sogar im Sturzflug und rissen mit ihren Krallen an seiner Uniform. Um die Vögel abzuwehren, schwang er mit der einen Hand den Säbel hoch über dem Kopf, mit der anderen Hand hob er Mac aus der Wiege. Der Kleine gluckste fröhlich, mit einem Stückchen halb zerkauten Wurm auf den Lippen. Jetzt waren die Krähen erst recht erbost und gingen mit vereinten Kräften auf Curtis und Mac los, die rasch in einen Schleier aus schwarzen Federn, Schnäbeln und Klauen eingehüllt waren. Sie zerkratzten Curtis’ Gesicht, zerrissen seine Kleidung, kniffen seine entblößte Haut blutig. Planlos taumelte Curtis durch den Raum und fuchtelte mit dem Säbel herum. Mac fing an zu weinen. Krähenkrallen verhedderten sich in Curtis’ Haaren, Flügel schlugen ihm ins Gesicht, bis er praktisch blind war. Vor Schmerz und Wut stieß er einen Schrei aus. Und plötzlich beendete eine Stimme den wilden Tumult.

    »HALT!«, rief die Stimme, die Curtis sofort als Alexandras erkannte.
    »AUFHÖREN!«, befahl sie.
    Der Krähensturm flaute etwas ab, und Curtis konnte den Kopf heben und endlich wieder die Augen aufschlagen. Durch den sich lichtenden Federnebel machte er eine Frauengestalt aus, die am Eingang der Kammer stand.
    »Alexandra!«, rief er. »Ich habe Mac gefunden! Prues Bruder!«
    Er stockte. Während Alexandra dort stand und sich umsah, hatten sich ein paar Krähen auf ihren Schultern niedergelassen. Gerade war eine auf ihrem Arm gelandet, und sie streichelte sie gedankenverloren.
    »Er war … hier«, fuhr Curtis fort, doch ihm war der Wind aus den Segeln genommen, als ihm langsam die Wahrheit dämmerte.
    Ohne Curtis zu beachten, hob Alexandra den Arm und hielt sich die Krähe auf Augenhöhe. Der Vogel krächzte ärgerlich etwas, woraufhin Alexandra lächelte und beruhigend etwas murmelte. Zufrieden richtete die Krähe ihren eisigen Blick auf Curtis.

    »Was machst du hier, Curtis?«, fragte Alexandra.
    »Ich b-bin nur rumgelaufen«, stammelte er, »und … tja, also ich habe ein Baby

Weitere Kostenlose Bücher