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Wildwood

Wildwood

Titel: Wildwood Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Meloy
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zu sprechen, der ihr diese Begnadigung gewährt hatte.
    Minuten vergingen. Prues linker Fuß schlief ein, und sie versuchte, den nervigen Schmerz zu ignorieren, indem sie ihr Pranayama übte. Das war eine Atemtechnik, die sie im Yogakurs für Anfänger gelernt hatte. Doch egal wie stark sie ihre Atmung auch kontrollierte, es änderte nichts daran, dass ihr Fuß sich anfühlte, als würde er gleich vom Bein abfallen. Endlich ertönte draußen eine Stimme.
    »Keine Spur von dem Mädchen. Wir haben das gesamte Haus abgesucht.«
    Prue stieß erleichtert die Luft durch die Nase aus.
    »Überall?«
    »Jawohl.«
    »Sie muss entkommen sein. Jemand hat sie gewarnt«, sagte der Chef der Truppe. »Na, was soll’s. Bei der Fahndung wird sie schon auftauchen.«

    »Jawohl«, erwiderte der Untergebene. »Und die Vögel? Was sollen wir mit denen machen?«
    »Verhaften«, lautete die Antwort.
    Eine weitere Stimme schaltete sich ein. »Da ist nur einer.«
    »Was ist mit dem anderen?«
    »Muss in der ganzen Aufregung weggeflogen sein.«
    Es folgte eine kurze Stille. »Weggeflogen? Einfach … weggeflogen?«
    »Wäre meine Vermutung«, bestätigte der Polizist leise.
    »Idioten! Gehirnamputierte Idioten!«, brüllte der Chef. »Inkompetente, gehirnamputierte …«
    »Idioten?«, schlug ein anderer vor.
    »IDIOTEN!« Dann fing sich der Befehlshaber wieder und sagte in normaler Lautstärke: »Die Zentrale wird darüber nicht erfreut sein. Wir können einen Verdächtigen verlieren, aber wenn sie mitkriegen, dass uns gleich zwei durch die Lappen gegangen sind, kostet uns das unsere Jobs.« Er dachte einen Moment nach, dann wies er seinen Mitarbeiter an: »Schreib in den Bericht, dass der Verhaftete bei unserer Ankunft von einem , wiederhole: einem Diener begleitet wurde.«
    »Und das Mädchen?«, fragte eine zitternde Polizistenstimme.
    Stille. »Schreib, das Außenweltmädchen wurde vermutlich rechtzeitig gewarnt und war am Schauplatz nicht aufzufinden.«
    »Jawohl.«

    »Und du, Vogel«, sagte der Chef, »kommst mit uns. Wir werden schon sehen, wie hoch du noch fliegst nach ein paar Wochen hinter schwedischen Gardinen.«
    Erneut Stille im Raum. Dann erkundigte sich einer der Polizisten zaghaft: »Bitte wo?«
    »Schwedische Gardinen. Kittchen. Bunker.« Keine Reaktion. »GEFÄNGNIS, ihr Idioten! Und jetzt hauen wir hier schleunigst ab, ehe der Knast voll ist. Der Gefängnisdirektor wird heute Nacht weiß Gott alle Hände voll zu tun haben.« Auf diese Ankündigung folgte ein Donnern von Stiefelschritten, und innerhalb von Sekunden war im Zimmer kein einziges Geräusch mehr zu hören. Etwas entfernt schlug die Haustür zu. Dann sprang brummend ein Motor an, und Autoreifen knirschten über den Kies. Nachdem sie bis hundert gezählt hatte, schob Prue den Zeitungsstapel von ihrem Kopf und öffnete vorsichtig den Deckel. Da sie niemanden entdecken konnte, stand sie mit Schwung auf, woraufhin ihr das Blut vom Hals bis hinunter in die Zehen schoss. Sie schüttelte den tauben Fuß aus und stieg aus dem Korb.
    Sie war allein. Die beiden Ohrensessel, in denen sie und Uhu Rex nur kurze Zeit vorher gesessen hatten, waren achtlos umgestoßen, die edlen hohen Regale, die an der holzverkleideten Wand gestanden hatten, zu Boden geworfen worden. Verzogene Buchrücken und umgeknickte Seiten waren überall verstreut. Ein paar gefleckte Federn lagen mitten im Raum, und bei diesem Anblick brach Prue
fast das Herz. Was hatte sie getan? Es war alles ihre Schuld; die Polizei war ihretwegen gekommen. Und doch hatte er sie geschützt. Mit quälenden Gewissensbissen kniete sie sich hin und hob eine der Federn auf. »Ach, Uhu«, stieß sie hervor, »es tut mir ja so leid.«
    Da schreckte Prue auf. Aufgeregtes Flügelschlagen drang aus dem Kamin. Einer der beiden kleinen Vögel kroch aus dem Rauchabzug, den hellen Bauch voller Ruß.
    Etwas schwerfällig flog er zu Prue und landete auf einem der umgestürzten Regale. Er schüttelte ein Aschewölkchen aus dem linken Flügel und sah Prue unglücklich an. »Er ist fort«, sagte er, die Stimme so grau wie sein Gefieder. »Der Kronprinz. Fort.«
    Prue konnte nur mitfühlend nicken. Sie war immer noch wie erschlagen von den Ereignissen. »Wie bist du entkommen?«, fragte sie. »Ich war sicher, dass sie euch alle verhaften würden.«
    »Mir ging es genauso. Ich dachte schon, sie hätten dich – als sie den Korb aufgemacht haben.« Er deutete mit dem Kopf auf den Kamin. »Und in dem Durcheinander konnte ich mich dort

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