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Wildwood

Wildwood

Titel: Wildwood Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Meloy
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Ratz,
knüpf ihn auf, dann holt ihn die Katz!
Zieh ihm das Fell ab, wenn er frech ist,
häng’s dir um den Hals oder stopf ’s in ’ne Blechkist.

    Drüben bei den Brombeerbüschen
sah ich mein Mädel mit ’nem andern schnüffeln.
Hab sie mir beim Ohr gepackt,
jetzt liegt sie drunt’ im Brunnenschacht.

    Hey, ho, fang den Ratz,
knüpf ihn auf, dann holt ihn die Katz!
    Curtis klopfte artig mit dem Finger den Takt auf seinem Bein mit und unternahm sogar den halbherzigen Versuch, beim zweiten Mal
in den Refrain einzustimmen, was die Umstehenden mit einem Kichern und erhobenen Bechern quittierten.
    »Dem Jungen liegt das Hunde-Lied im Blut!«, heulte einer.
    »Braver Kojote!«, brüllte ein anderer.
    Ein Soldat ließ sich schwerfällig neben Curtis und seine Sammlung von Weinbechern fallen und knuffte ihn tollpatschig in die Rippen, sodass beide fast nach hinten umgekippt wären.
    Curtis lachte verlegen und stand auf. »Entschuldigt mich, Jungs. Ich geh ein bisschen frische Luft schnappen.« Für seinen Geschmack wurde das bunte Treiben um ihn herum langsam etwas zu laut. Auf Zehenspitzen tapste er um die Becher und die untergehakten, aus vollem Halse grölenden Kojoten herum und wandte sich einem der vielen Gänge zu, die vom Raum wegführten. Der Tunnel wurde von einigen Feuerschalen an den Wänden erhellt, sodass die Schatten der schunkelnden Soldaten auf dem unebenen Boden zuckten. Curtis bog um eine Kurve und langsam verebbte das Lied in seinem Rücken:
    Finster, finster, Moos und Ginster!
Hängt ihn auf, durch die Schlinge linst er!
    Curtis bekam eine Gänsehaut und war froh, den Lärm der tobenden Meute hinter sich zu lassen, während er dem Tunnel abwärts folgte. Er wusste nicht genau, wohin er ging. Er spürte nur einen plötzlichen
Impuls, sich ein stilles Plätzchen zu suchen, wo er in Ruhe über all das nachdenken konnte, was in den letzten Tagen passiert war.
    Von diesem Hauptgang zweigten immer wieder Seitenarme ab, durch die Curtis von Fackeln erleuchtete Vorzimmer und Lagerräume erkennen konnte. Er achtete sorgfältig darauf, sich jede Biegung zu merken, um später zum Thronraum der Gouverneurin zurückzufinden. Inzwischen war das rauschende Fest nur mehr ein fernes Echo, der Qualm der Feuer lediglich ein Hauch in der modrigen Luft. Die Wurzeln, die von der Erddecke des Tunnels baumelten, strichen ihm wie lange, flaumige Finger über den Kopf. Curtis empfand eine überwältigende, warme Geborgenheit in diesem labyrinthischen Bau und fragte sich, ob er vielleicht wirklich hier bleiben könnte. Die schmerzhafte Beklemmung, mit der er jedem Schultag entgegensah, seine Einsamkeit auf dem Pausenhof und die erdrückende Autorität seiner Lehrer, seiner enttäuschten Sporttrainer und seiner ungeduldigen Eltern – all das schien hier zu verblassen wie der Gesang der Kojotensoldaten. Noch nie war er von einer Gruppe von Leuten so herzlich aufgenommen worden; immer hatte er am Rand gestanden und sich verzweifelt um die Anerkennung der anderen bemüht. Curtis fand Alexandras Vorschlag aufregend – sie wäre eine neue Mutter für ihn! Wie viele Kinder bekamen denn schon ein solches Angebot? Und die Vorstellung, mit ihr gemeinsam in dieser seltsamen fremden Welt zu herrschen, war einfach berauschend.
    Wusch .

    Das unverwechselbare Geräusch flatternder Flügel ertönte weit entfernt aus der Dunkelheit des Tunnels.
    Wusch .
    Curtis’ Mundwinkel sanken nach unten. Stattdessen runzelte er nun verwirrt die Stirn.
    Wieder erklang dieser Laut: ein deutliches Flügelschlagen, wie wenn ein Vogel kurz vor der Landung in der Luft kreist.
    Curtis lief auf das Geräusch zu. Eine Fledermaus? Nein: Fledermäuse kannte er von zu Hause, als sie in der Dämmerung ein paar Mal über die Terrasse geflogen waren; man hörte sie kaum. Aber was hatte ein Vogel in einem unterirdischen Bau zu suchen? Bis jetzt hatte er noch keine anderen Tiere in der Armee der Gouverneurin gesehen. Er folgte dem Flattern durch einen Gang, der vom Haupttunnel abzweigte; an dessen Ende war ein kleines Licht zu sehen. Die Decke war hier niedriger, und Curtis ging geduckt. Der winzige leuchtende Punkt flackerte wie ein Filmprojektor; sein Schein wurde hin und wieder vom plötzlichen Auftauchen und Verschwinden schneller schwarzer Umrisse verdeckt. Curtis kniff die Augen zusammen, das Flügelschlagen wurde nun lauter.
    »Hallo?«, rief er.
    Beim Klang seiner Stimme erhob sich ein schriller Aufruhr. Curtis schätzte, dass dort hunderte von

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