Wildwood
verstecken.« Er ließ den Schnabel hängen. »Aber was nützt das? Unser Kronprinz sitzt im Gefängnis!« Nun hob er den Blick und sah Prue mit Tränen in seinen traurigen Augen flehend an: »War das feige von mir? Hätte ich nicht mein Leben oder zumindest meine Freiheit zur Verteidigung meines Prinzen geben müssen?«
»Aber nein, nein«, tröstete Prue ihn. Sie wischte ihm etwas Ruß vom Köpfchen. »Das hätte er nicht gewollt. Was du getan hast, war
das Richtige.« Sie setzte sich ebenfalls auf das Regal und stützte das Kinn in die Hände. In der Ferne erklang das Heulen einer Sirene.
Der Vogel erschauerte. »Ich hätte nie gedacht, dass ich so was erleben muss«, sagte er tonlos. »Unsere ganze Arbeit, unsere sorgfältige Diplomatie, um dieses zerbrechliche Bündnis zu schmieden. Alles umsonst.« Nun waren schon zwei Sirenen zu hören, und das Geräusch wurde immer lauter. Prue stand auf und ging zum Fenster; ein blinkendes rotes Licht fiel durch die Scheibe. Rasch kniete sie sich hin und zog den Vorhang unauffällig etwas zur Seite. Mehrere Türen weiter verfrachtete ein Trupp gestiefelter SARG-Polizisten einen kleinen Vogelschwarm in einen gepanzerten Transporter.
Ohne extra nachzusehen, konnte der kleine Diener sich ausmalen, was da vor sich ging. »Sie bringen alle hinter Schloss und Riegel, schätze ich. Alle Vögel, egal ob sie Bürger Südwalds oder Untertanen des Fürstentums sind.« Betrübt wiederholte er: »Hätte nie gedacht, dass ich so was erleben muss.«
Noch mehr Sirenen schrillten; noch mehr scheppernde Gefängnistransporter rollten über das Kopfsteinpflaster der Rue Thurmond. Ein Stück die Straße hinunter beobachtete Prue, wie einige Reiher abgeführt wurden, deren leuchtend weiße Federn im Schein des blitzenden Lichts blutrot schimmerten. Ehe die Reiher allerdings die schweren Türen des Transporters erreichten, brach einer aus der Gruppe aus, nahm mit seinen langen, dürren Beinen Anlauf,
breitete die Flügel aus und erhob sich in die Luft. Auf der Stelle zog ein SARG-Polizist sein Gewehr von der Schulter, zielte und schoss. Prue schlug sich die Hand auf den Mund, um nicht laut aufzuschreien. Der Reiher stürzte auf das Pflaster, ein schlaffes Gewirr von weißen Federn. Die Polizisten wechselten ein paar flüchtige Worte, dann fuhr der Gefangenentransport rumpelnd davon. Reglos blieb der Reiher dort liegen, wo er aufgetroffen war. Nach einer Weile kam ein einzelner SARG-Polizist aus einem der anderen Häuser und trat den Leichnam des Vogels beiläufig von der Mitte der Straße in den Rinnstein.
Prue biss die Zähne aufeinander und knallte die Faust auf die Fensterbank. »Mörder«, zischte sie. Sie blickte sich zu dem Diener um und erwartete, ihn vom Klang des Schusses erschüttert zu sehen. Doch er saß immer noch an derselben Stelle und hatte den Kopf nur noch tiefer auf die Brust gesenkt.
»Wir müssen etwas tun!«, rief Prue und stapfte zurück zum Regal. »Das ist so eine Ungerechtigkeit! Wie kann jemand so etwas zulassen?«
»Angst«, erwiderte der Vogel ruhig. »In diesen Tagen herrscht die Angst. Die Mächtigen haben Angst, ihre Macht zu verlieren. Sie sind blind vor Angst. Jeder ist ein Feind. Irgendjemand muss es ausbaden.«
Prue stöhnte wütend auf und tigerte im Zimmer auf und ab. »Also eins ist mal klar, ich werde nicht einfach hier rumsitzen und
warten, bis denen die Ideen ausgehen und sie zurückkommen, um uns zu verhaften. Das ist total verrückt.«
»Ich weiß nicht, was ich dir raten soll«, murmelte er.
Da blieb Prue stehen. »Norden. Nach Norden.« Sie warf dem Vogel einen schnellen Blick zu. »Das hat Uhu Rex gesagt, unmittelbar bevor die Polizei kam. Er hat gesagt, wenn alles andere scheitert, könnte ich nach Nordwald gehen und diese … Magier aufsuchen.«
»Mystiker«, verbesserte der Vogel und hob den Kopf.
»Genau.« Prue wackelte nachdenklich mit dem Zeigefinger. »Dort wäre ich sicher. Und möglicherweise wissen sie, wo mein Bruder ist.«
»Vielleicht wärst du dort sicher; aber den Nordwaldern ist ihre Abgeschiedenheit wirklich sehr wichtig.«
Prue zuckte die Achseln. »Einen Versuch ist es doch wert, oder?«
Der Vogel war jetzt sichtlich munterer. »Kann sein. Kann sein. Aber wie um alles in der Welt willst du dort hinkommen?«
Stirnrunzelnd kratzte Prue sich an der Wange. »Das ist der Haken. Ich habe keine Ahnung.«
»Du könntest fliegen«, schlug er vor.
»Ja, klar, das ist ja überhaupt kein Problem«, schnaubte Prue.
»Ich
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