Wildwood
Geheimpolizisten im Raum umherlaufen hören. Schritte näherten sich dem Korb, machten Halt, dann wurde ein Buch aufgeklappt und raschelnd durchgeblättert.
Da der Uhu keine Antwort gab, räusperte sich der Mann am Regal und sagte mit lauter, herrischer Stimme: »Uhu Rex, Kronprinz des Vogelfürstentums, wir verhaften Sie wegen Verstoßes gegen
die Wildwaldkonventionen, Absatz drei, Gewährung von Unterschlupf für eine Illegale, und wegen der Verschwörung zum Sturz der Regierung von Südwald. Haben Sie diese Vorwürfe verstanden?«
Prue unterdrückte einen leisen Aufschrei und riss die Augen auf. Die nun eintretende Stille war für Prue kaum auszuhalten. Sie wagte es, den Deckel des Korbs einen Spaltbreit zu öffnen und einen Blick nach draußen zu riskieren. Uhu Rex stand vor einem kleinen Grüppchen Männer, die in einheitliche schwarze Regenmäntel und Polizeimützen gekleidet waren. Da zogen zwei von ihnen kleine Pistolen hervor und richteten sie auf den Uhu.
»Ihre Gesetze sind reine Augenwischerei«, sagte der Vogel schließlich, »und eine grobe Verzerrung der Gründungsprinzipien von Südwald.«
»Ich bedaure, dass Sie das so empfinden, Uhu«, erklang die Stimme des Mannes neben dem Regal. Er warf etwas Schweres – ein Buch, vermutete Prue – auf den Korb, wodurch der Deckel zuschlug. Sie stieß einen unterdrückten Schrei aus, der glücklicherweise vom Quietschen der Klappe übertönt wurde. »Aber bitte, fahren Sie fort: Nur raus mit Ihren Schmähungen! Beklagen Sie die Ungerechtigkeit! Rufen Sie es von mir aus von allen Dächern! Aber damit machen Sie
es sich nur noch schwerer. Also, Sie können freiwillig mitkommen, oder wir wenden Gewalt an.«
Stille senkte sich über den Raum. »Nun gut, ich beuge mich«, hörte man die Stimme des Uhus. Erneut hob Prue den Deckel ein wenig an und beobachtete, wie Uhu Rex seinen Häschern wie in frommer Ergebung die Flügel darbot.
»Nehmt ihn fest, Jungs«, sagte der Mann, und einer der anderen Polizisten legte zwei eiserne Fesseln um die Flügelspitzen des Kronprinzen. Zwei weitere, verbunden mit einer kurzen Kette, wurden um seine Klauen befestigt. Uhu Rex’ Kopf sank auf seine Brust.
»Was ist mit dem Mädchen?«, fragte einer der Polizisten.
»Sucht das Gebäude ab. Sie kann nicht weit gekommen sein.«
Atemlos verkroch sich Prue ganz unten im Korb und lauschte, wie Uhu Rex abgeführt wurde. Die Kette seiner Fußfesseln schabte über den Holzfußboden.
Curtis beobachtete, wie seine Soldatenkameraden sich kopflos in ihre Siegesfeier stürzten. Er selbst erinnerte sich allerdings noch sehr lebhaft an die Wirkung des Brombeergebräus, weshalb er sich die größte Mühe gab, nur so zu tun, als würde er das Zeug tatsächlich trinken. Der Rest der Truppe hielt von dieser Strategie ganz offensichtlich nichts. Das eine Weinfass war gerade erst angezapft, da wurde auch schon das nächste aus einem der Seitengänge hereingerollt. Die Uniformen bis zur Hüfte aufgeknöpft, mit Ausblick
auf das graue, verfilzte Fell ihrer mageren, knochigen Brustkörbe, drängelten sich mehrere Soldaten unter den Zapfhähnen der Fässer und leckten gierig jeden Tropfen auf, der danebenfiel. Curtis tat sein Bestes, um kräftig mitzufeiern. Allerdings wurden seine Füße langsam müde: Ununterbrochen lief er durch den Raum und zu jeder Gruppe, die ihn zu sich winkte, um auf ihren Wunsch hin erneut die Geschichte der Schlacht zu erzählen – das Abfeuern der Kanone, die Zerstörung der Haubitze mit dem Baumstamm. Nach dem siebten oder achten Mal erwischte er sich dabei, wie er andere seine Sätze beenden und die Geschichte immer weiter ausschmücken ließ. Schließlich war er heiser, suchte sich ein umgekipptes Weinfass in einer Ecke und setzte sich erschöpft darauf. Trotzdem lächelte er jeden Soldaten, der mit einem neuen, vollen Weingefäß zu ihm gestolpert kam, freundlich an, bis um seine Füße herum eine kleine Armee unangetasteter Becher versammelt war.
Ein Leutnant, der sich die Schärpe seiner Uniform verwegen um die Stirn gebunden hatte, war auf einen niedrigen Turm aus leeren Kisten geklettert und fuchtelte nun mit seinem Säbel herum, als wäre es ein Taktstock. Nach einem kurzen Räuspern stimmte er ein Lied an, in das die restlichen Soldaten mit prahlerischem, kehligem Überschwang einfielen:
Mein Vater war ein Galgenvogel,
musste mich durchs Leben mogeln.
Als Welpe schon war ich der Beste,
also Ohren auf, meine Brüder und Schwestern.
Hey, ho, fang den
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