Wildwood
Halt, dann stolperte sie auf die Kiesoberfläche hinunter.
»Die Lange Straße«, rief Prue.
Die Kojoten hinter ihnen machten einen Satz und landeten mitten auf der Straße, das Nackenhaar gesträubt, die Zähne wütend gefletscht.
»Na kommt schon, ihr Hunde!«, schrie Brendan ihnen zu, und schon galoppierten sie weiter die Straße hinunter. Auf dem ebenen Boden war ihr Tempo noch höher als im Wald, und Prue spürte, wie Henbanes Hufe weiter ausgriffen. Sie bemerkte außerdem, dass Brendan die Stute nicht mehr so stark antrieb; er wollte die Kojoten ja nicht abhängen, sondern von seinem verborgenen Lager weglocken.
Prue spähte über seine Schulter und entdeckte weiter vorn zwei verzierte Säulen zu beiden Seiten der Straße und die verwitterten Holzplanken einer Brücke. Als sie näher kamen, sah sie, dass der Boden unter der Brücke in einem steilen Winkel abfiel und in die felsigen Wände einer schaurig tiefen Schlucht überging. Sie schrie leise auf, als Henbanes Hufe auf die Brücke trafen und sie in den Abgrund blicken konnte; er schien bodenlos.
Da zog Brendan plötzlich an der Mähne der Stute, woraufhin sie schlitternd auf halber Strecke zum Stehen kam. »Mist«, krächzte er halblaut.
Prue hob den Kopf. Auf der anderen Seite der Schlucht saß eine große, eindrucksvolle Frau in einem Gewand aus Leder auf einem kohlrabenschwarzen Pferd. An der Seite trug sie ein langes, schmales Schwert; ihr kupferfarbenes Haar hing ihr in zwei geflochtenen Zöpfen bis auf die Taille. Sie lächelte, als sie Prue und Brendan sah, und lenkte ihr Pferd auf die Brücke.
»Na so was, Brendan«, sagte sie eisig. »Du schon wieder. Wir haben uns doch erst gestern gesehen.«
Brendan schwieg.
»Ist das … ist das die Gouverneurin?«, flüsterte Prue.
Er nickte, ohne die Miene zu verziehen. Langsam und bedächtig zog er seinen Säbel aus der Scheide und richtete ihn auf die Frau. »Lass mich durch«, sagte er.
Inzwischen waren auch die Kojoten eingetroffen. Aber sie warteten auf der ersten Planke der Brücke ab, wo sie mit bebenden Lefzen hin und her liefen und mit den Pfoten scharrten.
Die Gouverneurin lachte. »Du weißt, dass ich das nicht gestatten kann, Brendan.« Sie ritt näher und reckte den Hals, um zu sehen, wer hinter ihm auf dem Pferd saß. »Wer begleitet dich, Räuberkönig?«
Prue schob den Kopf hinter Brendans Rücken hervor und starrte die Frau an. Die Augen der Gouverneurin weiteten sich, und über ihre Stirn flackerte eine Art von Wiedererkennen. »Ein Außenweltkind!« , rief sie. »Du hast ein Außenweltkind bei dir!«
»Und wo ist deines, Hexe?«, schnaubte Brendan. »Beim letzten Mal hattest du auch eines in deinen Klauen.«
»Fort, leider. Er ist nach Hause gegangen, zurück in die Außenwelt. War offenbar nicht geschaffen für Wildwald.«
Prue atmete erleichtert auf – war Curtis in Sicherheit? Hatte sich eine ihrer Rettungsmissionen erledigt? In diesem Moment fühlte sie einen Anflug von Neid; Curtis saß jetzt vielleicht schon zu Hause und seine Eltern zerzausten ihm liebevoll den Lockenkopf.
Die Gouverneurin trieb ihr Pferd voran; sie kam immer näher. Brendan tat es ihr gleich, sodass sich die beiden Tiere schließlich nur wenige Schritte voneinander entfernt auf dem mittleren Brückenbogen gegenüberstanden. Hinter ihnen knurrten und kläfften die Kojoten. Die Gouverneurin wandte den Blick nicht von Prue ab; es machte Prue ganz nervös.
»Kleines Mädchen«, sagte sie. »Liebes kleines Mädchen: Du hast ja keine Ahnung, in was du da hineingeraten bist. Das hier ist nichts für Kinder. Du solltest bei deinen Eltern sein!«
»Ruhe!«, rief der Räuberkönig. »Hör mit deinen Spielchen auf!«
Zornig funkelte Alexandra ihn an, wobei ein trockenes Lächeln ihre Lippen umspielte. »Und was willst du dagegen unternehmen, du König der Räuber?«
Brendan erhob knurrend den Säbel. »Durchbohren werde ich dich. So wahr mir die Götter helfen.«
»Und was würde das bringen?«, fragte sie ungerührt. »Meine
Soldaten würden dich in Stücke reißen, ehe du noch den Säbel aus mir herausgezogen hättest. Dein Volk, deine rauflustige Anhängerschar wäre ihres furchtlosen Anführers beraubt. Wer sollte sie dann beschützen?«
Der König spuckte auf die Holzplanken. »Egal wie viele von meinen Leuten du tötest und einsperrst, du wirst uns niemals finden. Du kennst diese Wälder nicht so wie wir.«
»Alles zu seiner Zeit, Brendan«, erwiderte sie. »Alles zu seiner Zeit. Deinen Leuten
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