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Wilhelm II

Wilhelm II

Titel: Wilhelm II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clark Christopher
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donnernde Rede zu halten. Holstein, Eulenburg und Hohenlohe bemühten sich gelegentlich mit beachtlichem Erfolg darum. 38 Zumindest konnte man dem Kaiser vor Augen führen, wie sehr er sich und der Regierung schadete. Beispielsweise leitete die Reichskanzlei, die zuvor solches Material zurückgehalten hatte, im Mai 1891 Zeitungsausschnitte zu einer umstrittenen Rede direkt an Wilhelm weiter, wobei die kritischsten Passagen rot unterstrichen waren. 39
    Als Wilhelms getreuer Vertrauter und Anhänger ließ auch Philipp Eulenburg dem Kaiser Warnungen zukommen und verschonte ihn nicht mit scharfer Kritik. Im November 1891 wurde Wilhelm gebeten, sich in das offizielle Gästebuch der Stadt München einzutragen. Wilhelm schrieb die Zeile hinein: »Suprema lex regis voluntas« (der Wille des Königs ist höchstes Gesetz). Dazu schrieb Eulenburg:
    Weshalb Ew. Majestät das Wort schrieben, habe ich nicht zu fragen, aber ich würde ein feiges Unrecht begehen, wenn ich nicht von der schlimmen Wirkung schriebe, die das Wort in Süddeutschland verursachte, wo mich Ew. Majestät zum Aufpassen hingesetzt haben. [Eulenburg war damals preußischer Gesandter in München.] In erster Linie hat das Wort […] sehr verletzt […] weil die Leute […] eine Art persönlichen Kaiserlichen Willen über den [sic!] bayerischen Willen herauszulesen meinten. Alle Parteien, ohne Ausnahme, haben sich durch das Wort Ew. Majestät verletzt gefühlt, und es war dazu angetan, in schmählichster Weise gegen Ew. Majestät ausgedeutet zu werden. 40

     
     
    In Anbetracht der Tatsache, dass Wilhelm direkte Pressekritik so schlecht ertrug, bestand Hoffnung, durch die Konfrontation mit der Flut an negativen Reaktionen eine gewisse Mäßigung des Tons zu bewirken. Ende März 1892, fast einen Monat nach der umstrittenen Rede im Brandenburger Provinziallandtag, berichtete Graf Helldorf-Bedra, dass Wilhelm Nächte lang nicht geschlafen habe, nachdem er die Zeitungsausschnitte gelesen hatte, und immer noch angeschlagen und deprimiert wirkte: »Ich hatte mir vorgenommen, über das leichtsinnige Reden etc. einen respektvollen Vorhalt zu machen – aber er tat mir so leid, und ich war so überzeugt, dass er sich selbst das Nötige sage, dass ich mich auf das Unerlässlichste beschränkte und ihm nichts Kränkendes sagen konnte.« 41 Aber derartige Episoden hatten keine dauerhafte Wirkung. Sobald der erste Schock nachgelassen hatte, kehrte nach und nach das kaiserliche Ego wieder zurück und der bombastische Wortschwall sprudelte von neuem. In seiner charakteristisch verworrenen Art betrachtete Wilhelm alle Versuche, seine öffentlichen Äußerungen zu zähmen, als Angriffe auf die Redefreiheit, die selbst die niedersten seiner Untertanen genossen.
    Da der Souverän zumindest bis 1908 nicht willens oder außerstande schien, sich zurückzuhalten, bemühten Hof- und Regierungsbeamte sich darum, die Form zu kontrollieren, in der die Äußerungen des Kaisers das breite Publikum erreichten. Zum
Beispiel wurde Wilhelms Rede bei der Rekrutenvereidigung im November 1890 zuerst entschärft, ehe sie der Allgemeinheit zugänglich gemacht wurde. 42 Tatsächlich wurden viele gedruckte Versionen, die uns von den Reden des Kaisers heutzutage vorliegen, vor der Veröffentlichung noch bearbeitet. Stenografische, wörtliche Mitschriften der Reden, die Beamten an Ort und Stelle anfertigten, wurden vom Zivilkabinett gründlich geprüft, bevor sie zur Veröffentlichung frei gegeben wurden. 43 Journalisten, die zu Anlässen erschienen, an denen der Kaiser vermutlich eine Rede hielt, wurden häufig von Hofbeamten angewiesen, den Wortlaut für die Öffentlichkeit ein wenig abzuschwächen. In manchen Fällen erhielten sie sogar eine »offizielle Version«, aus der die peinlicheren Passagen gestrichen worden waren. 44
    Zum Glück für die Beamten waren viele Reporter und Redakteure auch bereit, stillschweigend mitzuhelfen, den Schaden, den die Indiskretionen des Kaisers anrichteten, zu begrenzen. So kam es durchaus vor, dass Redakteure stenografische Mitschriften von kaiserlichen Reden ihrer eigenen Reporter dem Chef des Zivilkabinetts vorlegten, damit dieser den Text entsprechend bearbeitete. 45 Gelegentlich änderten Zeitungsredakteure sogar eigenhändig den Text: Im September 1907 hielt Wilhelm eine Rede in Tecklenburg, in der ein Loblied auf die deutschen Tugenden und Stärken mit folgender Ankündigung ihren Höhepunkt erreichte: »Der germanische Aar schwebt über Europa seine Flügel

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