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Wilhelm II

Wilhelm II

Titel: Wilhelm II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clark Christopher
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Heimatprovinz zu unterstreichen. 23 Es war eine harmlose (wenn auch ein wenig theatralische) Geste, die im überwiegend konservativen Parlament der Brandenburger gut ankam, aber den Süddeutschen, die am nächsten Tag den Text in der Presse überflogen, lag sie schwer im Magen. Eulenburg erklärte in einem Brief vom März 1892 Wilhelm das Problem:
     
    Die große Redegewandtheit und die Art und Weise Euerer Majestät üben auf die Zuhörer und Anwesenden einen bestrickenden Einfluss – wie dieses die Haltung unter den Brandenburgern nach der Rede Euerer Majestät wieder bewiesen hat. Bei der kühlen Beurteilung des Inhalts ergibt sich aber, unter den Händen des deutschen Professors, ein anderes Bild. […] Hier in Bayern sind die Leute geradezu »außer sich«, wenn Eure Majestät als »Markgraf« sprechen und die »Markgrafen Worte« im Reichsanzeiger stehen – quasi als Kaiserworte. Im Reichsanzeiger wollen die Reichsangehörigen Kaiserworte hören – auch nichts von Friedrich dem Großen (von dem sie nur zu gut wissen, dass er sagte: »La Bavière est un paradis habités par des animaux« [Bayern ist ein von Tieren bewohntes Paradies], und anderes noch), und auch nichts von Rossbach und Leuthen. 24
     
     
    Wilhelms Äußerungen waren überdies geradezu prädestiniert dafür, von Journalisten und der allgemeinen Öffentlichkeit als Kommentare zu zeitgenössischen politischen Ereignissen gelesen zu werden, und zwar auf eine Weise, die den Kaiser unweigerlich in das Kreuzfeuer des Parteienstreits hineinzog. Die politische Tagespresse zitierte häufig Passagen aus Reden des Kaisers, um einen bestimmten Blickwinkel zu untermauern. 25 Als Wilhelm in einer Rede vom Februar 1892 scharf über jene »Nörgler« herzog,
die »an allem, was seitens der Regierung geschieht, herumnörgeln und herummäkeln«, wollte er mit seinen Worten allgemein den Parteienstreit verurteilen, aber sie wurden in der liberalen und katholischen Presse als eine Kritik an der Position des Zentrums in der überaus umstrittenen Schulgesetzvorlage interpretiert. Eben diese mutmaßliche Parteinahme des Kaisers löste eine überaus heftige Reaktion in der Öffentlichkeit aus. 26 Die darauf folgenden Beschwerden konnten unmittelbare Folgen für das Verhalten der Parteien haben, wie Caprivi nur wenige Tage nach der Brandenburger Rede feststellte. Die Parteien im preußischen Landtag zogen auf einmal ihre vorherige Zusage zurück, zehn Millionen Mark für den Bau eines neuen Doms in Berlin bereitzustellen. 27
    Mit anderen Worten, die Komplexität des Umfeldes, in dem die Aussagen des Kaisers gehört und aufgenommen wurden, darf nicht unterschätzt werden; das gilt auch für die Schwierigkeit, eine Sprache zu finden, die den unzähligen Situationen, in denen der Kaiser sich wiederfand, und den unzähligen Rollen, die man von ihm erwartete, gerecht wurde. Allerdings war Wilhelm II. denkbar ungeeignet für die kommunikativen Aufgaben seines Amtes, das muss einmal gesagt werden. Es war ihm fast unmöglich, sich so nüchtern und gemessen auszudrücken, wie das politisch informierte Publikum es eindeutig von ihm erwartete. Der schwülstige, subjektive Tenor vieler öffentlicher Äußerungen lud die Kommentatoren allem Anschein nach bewusst dazu ein, die Persönlichkeit des Sprechers zu thematisieren. (Darauf ist auch der Erfolg von Ludwig Quiddes vernichtender Satire Caligula zurückzuführen; der Bestseller, der 34-mal neu aufgelegt wurde, konzentrierte sich weniger auf die Aktionen des Herrschers an der Regierung, als auf die angeblichen Verformungen seiner Persönlichkeit.) Wilhelms bombastischste, öffentliche Auftritte glichen Historiengemälden des 19. Jahrhunderts: überladen mit schwülstigem Symbolismus, in dem sich Stürme mit Strahlen erlösenden Lichts abwechselten, wo alles ringsumher dunkel war und erhabene Gestalten über
den kleinen, alltäglichen Streitigkeiten schwebten. Die Monarchie sollte auf diese Weise eine »Charismatisierung« erfahren und jener transzendente, überhöhte Aussichtspunkt heraufbeschworen werden, von dem aus Wilhelm über sein Volk herrschen wollte. Ein zentrales Thema war die historische Kontinuität der Hohenzollerndynastie und ihre preußisch-deutsche Mission. 28 Die kaiserliche Monarchie wurde als letzter Garant der Einheit des Reiches dargestellt, als der Punkt, an dem »historische, konfessionelle und wirtschaftliche Gegensätze sich vereinigen und versöhnen«. 29 Und schließlich zog sich auch die

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