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Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)

Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)

Titel: Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Clark
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vor allem eine Gesetzesvorlage zur Anhebung der Friedensstärke des Heeres. Die Aussichten für eine Zusammenarbeit mit dem Zentrum schienen gut. In den ersten 18 Monaten der Amtszeit Caprivis hatte die Partei ihre wohlmeinenden Intentionen demonstriert, indem sie für so gut wie alle wichtigen Gesetzesinitiativen stimmte. Aber als im Frühjahr 1891 eine neue Heeresvorlage anstand, teilte die Führung des Zentrums dem Kanzler mit, dass sie im Gegenzug für ihre Unterstützung im Parlament Zugeständnisse auf dem Feld der Bildung erwarte. Caprivi kam der Bitte nach, indem er sich nachdrücklich für den Rücktritt des Bildungsministers einsetzte. Als Grund gab er an, dessen Schulpolitik sei den Katholiken nicht kirchlich genug. Der neue Minister, Robert Graf von Zedlitz-Trützschler (ein Kandidat Caprivis), 36 legte ein Schulgesetz vor, das der katholischen Haltung sehr stark entgegenkam.
    Wilhelm unterzeichnete am 14. Januar 1892 den Gesetzentwurf von Zedlitz-Trützschler. Das war auf den ersten Blick eine seltsame Entscheidung, weil sie dem Kern der bekannten, politischen Neigungen des Kaisers und seiner Berater widersprach. Wenn der Entwurf verabschiedet worden wäre, dann hätte er den Zugriff des Staates auf das Schulsystem geschwächt und einer Segregation den Weg frei gemacht, in der klerikale Behörden neue Lehrer auf Herz und Nieren prüfen durften und fast alle Schüler in Schulen ihrer eigenen Konfession unterrichtet würden. Warum gab Wilhelm den Entwurf zur Diskussion im Parlament frei? Laut einem seiner Lieblingsadjutanten, dem Grafen Carl von Wedel, billigte Wilhelm den Entwurf vor allen Dingen deshalb, weil Caprivi andernfalls mit seinem Rücktritt gedroht hatte. 37 Möglicherweise war er auch davon ausgegangen, dass die Gesetzesvorlage in der Debatte und im Ausschuss noch abgeändert würde, während er es der Regierung gestattete, den Katholiken ihre versöhnliche Haltung vor Augen zu führen. Andererseits empfand er (wie seine Frau) vielleicht eine echte Sympathie für die dezidiert klerikale Note. Eins steht jedoch fest: Wilhelm unterschätzte völlig die Vehemenz der Empörung, die der Gesetzentwurf unter den Protestanten auslösen würde.
    Die von Zedlitz-Trützschler vorgeschlagenen Zugeständnisse wurden in den oberen Kreisen der preußischen Regierung fast einmütig abgelehnt. Warnungen vor katholischen Intrigen zum Sturz der Dynastie, ja vor dem unmittelbar bevorstehenden Zerfall des Reiches, oder vor dem Aufstieg einer von Österreich angeführten »katholischen Familienliga«, welche die süddeutschen Staaten gegen Preußen vereinen werde, und sogar vor einer triumphalen Bismarck-Kampagne machten die Runde, um die Vorlage abzuwehren. 38 Es gab auch einen ohrenbetäubenden Aufschrei der Empörung seitens der liberalen und konservativen Presse. Liberale Blätter verteidigten das Monopol der staatlichen Aufsicht; der gefeierte, nationalliberale Historiker Heinrich von Treitschke warnte, die Freiheit der Forschung und Lehre werde von katholischen Obskurantisten bedroht. Beim Bildungsministerium gingen unzählige Protestpetitionen ein. Der Konflikt um die Schulpolitik spiegelte eine der unzähligen, strukturellen Trennlinien im Reich wider: Ein »Kurs des gemäßigt-konservativen Ausgleichs«, wie Wolfgang Mommsen schreibt, »mit allen politisch relevanten Gruppierungen im Reich«, auch den Katholiken, machte in der nationalen Legislative durchaus Sinn, wo das Zentrum einen ausschlaggebenden Anteil der Sitze hatte. Aber dieser Kurs konnte in Preußen nicht durchgehalten werden, wo durch die Verzerrungen des Dreiklassenwahlrechts der Vorrang der (protestantischen) konservativen und liberalen Interessen garantiert wurde. 39 Nichts könnte besser demonstrieren, wie schwierig es war, die Ansprüche der beiden einflussreichsten Legislativen des deutschen Reiches auszubalancieren.
    Nach der anfänglichen Unterstützung für den Gesetzentwurf geriet Wilhelm nun in Panik. Auf Eulenburgs Rat hin und auf Drängen des antikatholischen Finanzministers Johannes Miquel lud er sich am 23. Januar selbst zu einem Bier im Haus Zedlitz ein und erschien mit einigen Würdenträgern aus den Kartell-Parteien. An diesem Abend kündigte er an, dass er kein Schulgesetz akzeptieren werde, das nicht von den Konservativen und Nationalliberalen unterstützt werde. Nur wenige Wochen später hielt er jedoch vor dem Brandenburger Landtag eine Rede und forderte ein Ende des Nörgelns, was gemeinhin fälschlich als eine

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