Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)
Fehler, das Jahr 1897 als einen grundlegenden Bruch in der Regierungsform des deutschen Systems anzusehen. Die Minister beschwerten sich zwar, dass sie von einem Monarchen übergangen würden, der den Rat seiner Kabinettchefs und unverantwortlichen Berater vorzog, aber darüber hatten sie sich schon Anfang der neunziger Jahre beschwert.
In Wirklichkeit hatte sich kaum etwas geändert. 94 Gesetzesvorlagen mussten immer noch in Verhandlungen mit den Ministern ausdiskutiert werden; sie konnten wie die »Zuchthausvorlage« ohne vorherige Rücksprache angekündigt werden, aber sie konnten ohne umfassende Einbindung der Minister nicht ins Parlament eingebracht werden. Immerhin war es ihre Aufgabe, die neuen Vorlagen vor der Legislative zu verteidigen. Überdies wäre es ein Irrtum, die von Wilhelm Ende der neunziger Jahre befürworteten Gesetzesvorlagen in einem krassen Gegensatz zu den Prioritäten der Minister zu sehen. Die Kanalvorlage von 1899 wurde – laut Bülow 95 – im preußischen Ministerium erörtert, bevor sie vom Kaiser aufgegriffen wurde. Der provokativen »Zuchthausvorlage« von 1898 wurden in den langwierigen Verhandlungen mit den Ministern die spitzesten Zähne gezogen. Darüber hinaus gelang es den Ministern, Wilhelms radikalere Versuche, das Ministerium seiner persönlichen Kontrolle zu unterstellen, zu vereiteln. Dazu zählte etwa der durchsichtige Vorschlag, ein Mitglied seines Zivilkabinetts zum Chef des Ministerialbüros zu ernennen – ein Sekretärsposten, von dem aus es möglich gewesen wäre, den Monarchen über den Verlauf der Diskussionen zu informieren. 96
Jedenfalls bedeutete ein Sieg des Kaisers über widerspenstige Minister – und das ist vielleicht das Entscheidende – nicht unbedingt einen Sieg für die Positionen, die er persönlich vertreten hatte. Das zeigt sich etwa an der Lösung der Diskussion um das Militärstrafrecht. Auch nach der personellen Umbesetzung bekundete Wilhelm ein volles Jahr lang lautstark seinen erbitterten Widerstand gegen die Reformvorlage; dennoch enthielt das Gesetz, das im Dezember 1898 verabschiedet und unterzeichnet wurde, wichtige Zugeständnisse zum liberalen Standpunkt bezüglich der Öffentlichkeit der Kriegsgerichte. 97 Tatsächlich sah sich Wilhelm mit einem System konzentrischer Beschränkungen konfrontiert. Selbst wenn er einen betagten Kanzler lähmen und demoralisieren konnte (was ihm bei Hohenlohe bis Ende 1898 weitgehend gelungen war), hatte er es noch mit den Ministern zu tun. Und selbst wenn er die Minister dazu bringen konnte, wider besseres Wissen seine Initiativen zu unterstützen (was ihm zwischen 1897 und 1900 in manchen Fällen, aber gewiss nicht immer gelang), so kam danach noch die lästige Legislative, ganz zu schweigen von der öffentlichen Meinung, deren Bedeutung für ihn kaum hoch genug veranschlagt werden kann. Die »Zuchthausvorlage« nahm im November 1899 in den Reichstagsdebatten ein böses Ende. Mit besonderer Häme wurden die drakonischen Strafen überschüttet, die gemäß Paragraf 8 der Vorlage vorgesehen waren; der voller Eifer von Wilhelm verfasste und gegen den energischen Protest der Minister auf sein Beharren hin beibehaltene Paragraf 8 wurde vom Reichstag in dem ersten und einzigen, einstimmigen Votum seiner Geschichte abgelehnt. 98
Ein ebenso erniedrigendes, wenn auch in die Länge gezogenes Schicksal erwartete die »Kanalvorlage«. Der Agrarflügel der konservativen Partei und seine Schwesterorganisation, der außergewöhnlich erfolgreiche Bund der Landwirte, sahen in dem geplanten Kanalsystem eine Innovation, welche den gebeutelten Agrarsektor der Konkurrenz billigen Getreides aus dem Ausland aussetzen und zudem Arbeitskräfte aus den ostelbischen Gütern in die Industriezentren der westlichen Provinzen abziehen würde. Am 16. August 1899 wurde die Vorlage in der zweiten Lesung von einer deutlichen Mehrheit des preußischen Landtags abgelehnt (275:134 Stimmen). 99 Dieses Scheitern war nicht allein auf die tatkräftige Kampagne der Konservativen zurückzuführen, sondern auch auf die Weigerung der Minister, den umstrittenen Zugeständnissen zuzustimmen, die notwendig gewesen wären, um die Konservativen mit dem Kanalprojekt zu versöhnen 100 – ein Beweis dafür, dass die größere Unabhängigkeit der Minister, die auf die Entmachtung Hohenlohes zurückzuführen war, einer erfolgreichen Umsetzung der kaiserlichen Initiativen auch im Wege stehen konnte. Wilhelm hatte sich mehrfach öffentlich für das Projekt
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