Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)
1896 ebenso entlassen wie der Kriegsminister Bronsart. Die Ernennung Bülows zum Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten folgte im Oktober 1897. Ferner gab es – von Wilhelm selbst vorgeschlagene – Neubesetzungen des Reichsamtes des Inneren und des Reichspostamtes. Eine weitere Ernennung, deren epochale Bedeutung erst später deutlich werden sollte, war die Berufung des Admirals Alfred von Tirpitz zum Staatssekretär des Reichsmarineamtes. Hohenlohe blieb bis 1900 Kanzler, aber er war ausgebrannt. Bülow drängte sich nach und nach zwischen Kaiser und ersten Minister und usurpierte Hohenlohes Zuständigkeitsbereiche. 89
1897-1900: Wilhelm am Steuer?
Nachdem Hohenlohe als politische Kraft mehr oder weniger ausgeschaltet war, die Minister untereinander zerstritten waren und die »Männer des Kaisers« viele Schlüsselbehörden kontrollierten, schienen die Haupthindernisse für Wilhelms Dominanz innerhalb der Exekutive aus dem Weg geräumt. Eine Veränderung im Kräftegleichgewicht zwischen dem Monarchen und dem Ministerium war bereits deutlich zu spüren: Der Kronrat (Sitzungen des preußischen Ministeriums in Anwesenheit des Monarchen) tagte immer häufiger. Die Minister wurden nicht im eigentlichen Sinn »zu Rate gezogen«, sondern hörten zu, während sich Wilhelm über Themen ausließ, die für ihn von Interesse waren, und Befehle und Vorschläge von sich gab, welche sich die Minister pflichtgetreu notierten. 90
Ein weiteres Indiz dafür, dass Wilhelm seine eigene Rolle immer weiter ausdehnte, war die verstärkte Bereitschaft, sich und die Regierung öffentlich auf einen bestimmten Kurs festzulegen. Am 6. September 1898 kündigte Wilhelm während der Manöver in Westfalen, vermutlich unter dem Einfluss der Hardliner in seinem militärischen Umfeld, einen Gesetzentwurf »zum Schutz der Arbeitswilligen« an. Das Gesetz sollte Männer und Frauen rechtlich schützen, die während eines Streiks weiter zur Arbeit gingen. In seinem charakteristischen Überschwang erklärte Wilhelm, dass jeder, »der einen deutschen Arbeiter, der willig ist, seine Arbeit zu vollführen, daran zu hindern sucht, oder gar zu einem Streik anreizt, mit Zuchthaus bestraft werden soll«. Diese unglückliche Formulierung wurde prompt von der Presse übernommen, und der Gesetzentwurf zum »Schutz des gewerblichen Arbeitsverhältnisses«, dessen erste Fassungen Wilhelm eigenhändig redigiert hatte, wurde unter der Bezeichnung »Zuchthausvorlage« bekannt. Zu den persönlichen Initiativen Wilhelms zählte auch eine Gesetzesvorlage, die den Bau eines Kanals anregte. Die industriellen Provinzen Preußens im Westen sollten durch den Kanal mit dem agrarischen Osten verbunden und so die Verschiffung von Waren von der Oder bis zum Rhein ermöglicht werden. Die »Kanalvorlage« beherrschte die preußische Politik im Sommer 1899 und wurde von Wilhelm leidenschaftlich verteidigt, weil sie in mehrfacher Hinsicht mit seiner eigenen Auffassung von der Mission des Monarchen als dem herausragendsten Vermittler zwischen den wirtschaftlichen, kulturellen und provinziellen Interessen (in diesem Fall des katholischen, industriellen Westens und des protestantischen, agrarischen Ostens) im Einklang stand, welche die Einheit und den Zusammenhalt des deutschen Staates bedrohten. 91 Auf diese Weise wurde das »persönliche Regiment« – hier im Sinne eines Regierungsprogramms, nicht einer vollendeten Tatsache – zum »Bestandteil einer sich ändernden Verfassungswirklichkeit«, wie Volker Ullrich schreibt. 92
John Röhl wies in einer Untersuchung aus dem Jahr 1967 darauf hin, dass die Neubesetzung von Ministerposten 1896/97 eine neue Phase in der Herrschaft Wilhelms einleitete, die von dem »persönlichen Regiment« des Monarchen gekennzeichnet sei: »Nicht 1890, sondern erst 1897 war das entscheidende Jahr für Wilhelms II. Regierung. Jetzt hatte er sein Ziel erreicht, er bestimmte die deutsche Politik, ohne sich in die Pläne der Ressortchefs einschalten zu müssen.« In neueren Untersuchungen beschrieb Röhl den »Durchbruch« des Kaisers im Sommer 1897 »zur vollen Entscheidungsgewalt«. Danach habe Wilhelm II., so Röhl, über eine »uneingeschränkte Entscheidungsgewalt« verfügt. 93 Es trifft zwar sicherlich zu, dass Wilhelm sich nach 1897 häufiger und mit mehr Zuversicht in die Politik einmischte und dass es dem Ministerium schwerer fiel, sich seinen Initiativen zu widersetzen, als noch Anfang und Mitte der neunziger Jahre, aber es wäre ein
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