Wilhelm II.
ja für Zivilisten überhaupt – gekennzeichnet. «Britannien muß zerstört werden», lautete sein Credo; er entwickelte jetzt schon eine Passion für eine starke deutsche Kriegsflotte. Aber auch Paris müsse «zerstörtwerden», erklärte er. Wilhelm sei «natürlich sehr kriegslustig und hofft, daß es bald losgeht», notierte Waldersee am 25. Januar 1887 zufrieden. Unter dem Einfluß dieses Generals setzte sich der Preußenprinz auch für einen Krieg gegen Rußland ein. «Der junge Herr will den Krieg mit Rußland, will womöglich gleich das Schwert ziehen», stellte Reichskanzler Fürst Bismarck 1888 mit Entsetzen fest. Als wäre das nicht genug, schimpfte Wilhelm maßlos auf die Juden, die katholische Zentrumspartei, die westeuropäisch orientierten Freisinnigen und die Sozialdemokraten im Reichstag und schrieb: «Möge der Tag bald kommen, wo die Grenadiere der Garde das Lokal mit Bajonett und Tambour säubern werden!»
Das Dreikaiserjahr 1888 und die Thronbesteigung
Am 22. März 1887 feierte Kaiser Wilhelm I. seinen 90. Geburtstag. Sieben Tage zuvor hatte Professor Karl Gerhardt erstmals eine kleine Geschwulst am linken Stimmband des Kronprinzen kauterisiert; sein Leiden sollte sich als Kehlkopfkrebs herausstellen. Plötzlich stand ein doppelter Thronwechsel oder gar der direkte Übergang der Krone von Wilhelm I. auf Wilhelm II. bevor. Alles mußte neu überdacht werden. Nicht nur für Bismarck und Waldersee, sondern selbst für loyale Anhänger des Kronprinzenpaares wie ihr Kanzlerkandidat Franz Freiherr von Roggenbach war die Thronbesteigung eines krebskranken, infolge seines Leidens sprachlosen und demoralisierten Kaisers Friedrich nur vorstellbar, wenn dessen «englische» Frau auf irgendeine Weise – und sei es durch einen heraufbeschworenen Sexskandal – aus seiner Nähe entfernt werden könnte. Ihr Sohn Prinz Wilhelm, dessen kriegerische und reaktionäre Neigungen die militärischen und konservativen Kräfte am Hof gleichsam als Bollwerk gegen eine voraussichtlich Jahrzehnte währende Herrschaft seiner Eltern geschürt hatten, rückte in den Mittelpunkt aller Kalküle.
Mit Unterstützung seines Großvaters, des Hofes, Waldersees und der Bismarcks und beflügelt von der Überzeugung, das monarchische Prinzip preußisch-militaristischer Prägung vor der drohenden Machtübernahme seiner englisch-coburgischenMutter mit ihrer «Humanitätsduselei» und ihren «undeutschen» konstitutionellen Vorstellungen retten zu müssen, intensivierte Wilhelm seine Machenschaften gegen seine Eltern. Nach einem Leidensweg über Bad Ems, die Isle of Wight, die Highlands von Schottland, die Tiroler Alpen und Baveno hielt sich das Kronprinzenpaar seit November 1887 in San Remo an der italienischen Riviera auf, wo sie durch einen zur Schau getragenen Optimismus die Bestrebungen nach einem Thronverzicht Friedrich Wilhelms zugunsten seines Sohnes abzuwehren suchten. Da der neunzigjährige Kaiser jeden Augenblick sterben konnte und der Kronprinz «mit aufgeschnittenem Halse» in Italien festsaß, wurde Prinz Wilhelm am 17. November 1887 mittels Allerhöchster Kabinettsordre zum Stellvertreter des Kaisers ernannt. Wenige Wochen darauf wurde er – wiederum gegen den ausdrücklichen Befehl seines verzweifelten Vaters – zum General befördert und von Potsdam nach Berlin versetzt, wo er notdürftig in die innere Verwaltung Preußens und des Reichs eingeführt wurde.
An der Krebsdiagnose konnte inzwischen kaum gezweifelt werden. Zwar hatte Friedrich Wilhelm am 11. November 1887 unter dem Einfluß seiner Frau die von den Ärzten empfohlene Entfernung des Kehlkopfes abgelehnt, die vielleicht wenigstens sein Leben – wenn auch unter qualvollen Umständen – hätte retten können, doch sein Zustand verschlimmerte sich zusehends, und am 9. Februar 1888 mußte Fritz Gustav Bramann einen Luftröhrenschnitt vornehmen. Mit welchem Haß auf seine Mutter und die englischen Ärzte Prinz Wilhelm diese tragischen Ereignisse verfolgte, geht aus seinem Brief an den Freund Eulenburg hervor: «Mein armer vielfach getäuschter Vater, von Lug, Trug, Intrigen und Ränken umgeben, hat in elfter Stunde, als es fast zu spät war, die Operation durchgemacht. Heldenhaft trägt er das schreckliche Leiden, welches durch Unfähigkeit und Böswilligkeit der Engländer ihn beinahe das Leben gekostet. […] Rassenhaß, Antideutschtum bis zum Rand des Grabes! […] Die Satansknochen!» Als Wilhelm am 2. März 1888 in San Remo eintraf, um
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