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Wilhelm II.

Wilhelm II.

Titel: Wilhelm II. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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die Kontrolle über die Behandlung seines Vaters zu übernehmen, verbat ihm sein Vater schriftlich jedwede Einmischung.
    Die nunmehr unausweichlich gewordene Rückkehr des todgeweihten Kronprinzen war bereits beschlossen, als am 9. März 1888 das Telegramm Wilhelms mit der Nachricht vom Ableben des alten Kaisers in San Remo eintraf. Als Kaiser und König Friedrich III. trat Wilhelms Vater die Heimreise an und bezog in Berlin zunächst das Charlottenburger Schloß. Nur neunundneunzig Tage sollten dem neuen Monarchen vergönnt sein, bevor die Krone neuerlich vom Vater auf den Sohn überging. Als sie den matten, sprachlosen Kaiser sahen, kamen fast alle zu der Überzeugung, daß er abdanken sollte; allein die Abneigung der Kaiserin Victoria gegen ihren Sohn könne erklären, so hieß es, weshalb die Übergabe der Geschäfte an Wilhelm nicht schon längst erfolgt sei. Zwischen der Kaiserin und Wilhelm, der nunmehr Kronprinz war, kam es zu fürchterlichen Konflikten. Dieser schrieb am 12. April 1888 an Eulenburg: «Was ich hier in den letzten 8 Tagen durchgelebt habe, ist einfach nicht zu schildern und spottet auch nur des Gedankens! Das Gefühl der tiefen Scham für das gesunkene Ansehen meines einst so hoch und unantastbar dastehenden Hauses ist aber das stärkste! […] Daß unser Familienschild aber befleckt und das Reich an den Rand des Verderbens gebracht ist durch eine englische Prinzessin, die meine Mutter ist, das ist das allerfurchtbarste!»
    Die Befürchtung Wilhelms, die «englische» Kaiserin an der Seite des sterbenden Friedrichs III. könne mit Hilfe ihres liberalen und jüdischen Anhangs das preußisch-deutsche Reich als «Hort der Monarchie» untergraben und den Parlamentarismus nach westeuropäischem Muster einführen, war allerdings völlig abwegig, viel zu stark waren die ihr entgegengesetzten Kräfte um Bismarck, am Hof, im Offizierskorps und in der Verwaltung, die sich alle «der aufgehenden Sonne» des neunundzwanzigjährigen Thronerben zuwandten. Man zählte die Tage bis zu seiner Thronbesteigung. Der Kaiser war nur noch ein Skelett, lag mit Fieber im Bett, warf große Mengen von Eiter aus und litt an quälendem Husten. Am 1. Juni 1888 siedelte er auf dem Wasserwege von Charlottenburg nach Potsdam ins Neue Palais über. Bald darauf brach der Krebs durch die Speiseröhre durch. Friedrich III. starb am 15. Juni 1888 um 11.30 Uhr; indiesem Augenblick wurde Wilhelm II. Deutscher Kaiser, König von Preußen, Summus Episcopus der evangelischen Kirche und Oberster Kriegsherr der mächtigsten Armee der Welt. Als erste Handlung ließ er von seinen Husaren einen Cordon um das Schloß ziehen, um seine Mutter daran zu hindern, ihre Papiere (die freilich schon längst in Windsor Castle lagerten) hinauszuschmuggeln. Diese Handlung war symbolträchtig: Weit entfernt, eine der modernen pluralistischen Industriegesellschaft gemäße Regierungsform einzuführen, ging der neue Kaiser daran, seine geradezu friderizianischen Vorstellungen einer monarchisch-militaristischen Eigenherrschaft von Gottes Gnaden umzusetzen.

II. Der anachronistische Autokrat (1888–1900)
Gottesgnadentum und kein Ende
    Für die Zeitgenossen galt der Übergang vom 91 Jahre alten Kaiser zu seinem 29jährigen Enkel faktisch als Überspringung einer Generation. Weltanschaulich aber ging es im Dreikaiserjahr eher um eine Kluft von Jahrhunderten. Gewiß, die Kaiserin Victoria war mit ihren nahezu republikanischen Überzeugungen ihrer Zeit in manchem weit voraus, und in dem von Bismarck nochmals festverankerten System der «Persönlichen Monarchie» hätte sie sich damit nicht durchsetzen können. Doch die Auffassungen des monarchischen Prinzips, die der junge Wilhelm nicht zuletzt als Gegengewicht zu seinen Eltern verinnerlicht hatte, gehörten ins 18. Jahrhundert, in die Ära vor der Aufklärung und der Französischen Revolution. Mag Bismarck sich auch damit gebrüstet haben, die Hohenzollernmonarchie vor dem Zugriff des Parlamentarismus bewahrt zu haben und sie nicht – wie in England, Italien, Skandinavien, den Niederlanden oder Belgien – zu einer «automatischen Unterschriftsmaschine» verkommen zu lassen, so mußte er doch bald nach dem doppelten Thronwechsel von 1888 einsehen, daß er mit dem Hinüberrettendes «monarchischen Prinzips» die Axt an die Wurzel nicht nur seiner eigenen Machtstellung, sondern auch seines gesamten Reichsbaus gelegt hatte. Indem er sich über die konstitutionellen Bestrebungen und jahrhundertealten

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