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Wilhelm II.

Wilhelm II.

Titel: Wilhelm II. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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gänzlich «verjudet»; die Politik des Deutschen Reiches werde von Juden kontrolliert! «Daß schmutzige Geld-Interessen jetzt» für Bismarck «eine große u. wohl die alleinige Rolle spielen, ist ganz klar», behauptete der Stellvertretende Generalstabschef. «Es ist wahrhaft entsetzlich: Der Jude Bleichröder hat einen großen Einfluß auf unsere äußere u. innere Politik.» «Der Kanzler hat sich Hrn. Bleichröder völlig in die Arme geworfen.» Daß der junge Kaiser solchen Einflüsterungen zugänglich war, ließ Schlimmes befürchten. Diese Wahnvorstellung Waldersees spielte in der Endphase der Entlassungskrise eine fatale Rolle.
    Nicht nur trat Wilhelm immer selbstbewußter auf, um ihn herum formierte sich zudem eine geheime Beraterclique von Männern, die alles, was sich die Bismarcks innen- wie außenpolitisch vornahmen, in Frage stellten. Neben Waldersee und Eulenburg gehörten Wilhelms Onkel, der Großherzog Friedrich von Baden, der badische Gesandte in Berlin, Adolf Freiherr Marschall von Bieberstein, sowie der einflußreiche Geheimrat Friedrich von Holstein im Auswärtigen Amt zu diesem Kreis. Im Hintergrund assistierten dem Monarchen ferner sein Lehrer Hinzpeter und der sozialpolitisch versierte Direktor der Kolonialabteilung im Auswärtigen Amt, Dr. Paul Kayser. Zwar hatte Fürst Bismarck das Gefühl, von Spionen umringt zu sein, bis zuletzt hatte er aber keine Ahnung, wer die Hintermänner waren, die die kaiserliche Kampagne gegen ihn leiteten.
    Eindringlich warnte der scharfsichtige Holstein davor, die Kanzlerkrise vorzeitig auf die Spitze zu treiben. Sollte Bismarck verärgert zurücktreten, so würde das ganze Staatsministerium mit ihm gehen. Dabei stünden im Januar 1890 Reichstagswahlen bevor, und die Gefahr eines Krieges mit Rußland und Frankreichsei keineswegs von der Hand zu weisen. «Kurz», mahnte der Geheimrat, «es gäbe ein Mordsspektakel». Die Wahlen drohten für die Regierung katastrophal auszufallen, und der junge Kaiser würde «einen inneren Konflikt ohne Bismarck anzufangen haben […] mit Frankreich und Rußland als Zuschauer». Um das Chaos bürgerkriegsähnlicher Unruhen mit der Gefahr einer Einmischung feindlicher Mächte zu vermeiden, wodurch das angehende Kaisertum Wilhelms II. für immer durch Blutvergießen diskreditiert würde, drängten Holstein, Eulenburg und die anderen Dunkelmänner den Kaiser, sowohl in der Innen- als auch in der Außenpolitik einen demonstrativ gemäßigten Kurs zu steuern: Im Reichstag müsse er sich für den Wahlerfolg der «staatserhaltenden» Kartell-Koalition zwischen den Konservativen, der nationalkonservativen Reichspartei und den Nationalliberalen einsetzen und in der Außenpolitik auf dem Erhalt des Dreibundes zwischen Deutschland, Österreich-Ungarn und Italien bestehen.
    Bald argwöhnten die Kaiserfreunde allerdings, daß Bismarck, um sich unentbehrlich zu machen und den Kaiser «an die Wand zu drücken», in beiden Fällen das gerade Gegenteil anstrebe: Kurz vor den Wahlen wolle er das Kartell zerschlagen und dazu noch mittels einer weiteren Annäherung an Rußland den verläßlichen Bündnispartner Österreich-Ungarn verprellen. In dem daraus entstehenden «Tohuwabohu» (wie Wilhelm es nannte) werde die Hoffnung des Kaisers, die Zügel allmählich selbst in die Hand zu nehmen, für immer zuschanden. In den letzten neun Monaten seiner Kanzlerschaft wurden sämtliche Züge Bismarcks – die zaghafte Annäherung an das katholische Zentrum, seine kompromißlose Haltung gegenüber den Kartellparteien im Hinblick auf das Sozialistengesetz, die Ablehnung weiterer Sozialreformen, das Gedankenspiel mit einem Staatsstreich, die geplante große Militärvorlage – von Wilhelm II. und der Geheimclique als listige Manöver interpretiert, um den Kaiser schachmatt zu setzen und ein Hausmeiertum der «Dynastie Bismarck» einzurichten. In diesem Endspiel pokerten beide Seiten hoch um die Macht: die Bismarcks – neben egoistischen Motiven – in dem Bestreben, die Eigenherrschaft des jungen, eitlen, emotional labilenund unkontrollierbaren Einflüssen zugänglichen Hohenzollernfürsten zu unterbinden, die kaiserliche Ratgeberclique in der Überzeugung, daß allein in der persönlichen Herrschaft Wilhelms II. das Heil Preußen-Deutschlands liege.
    Als am 4. Februar 1890 die von Bismarck bitter bekämpften sozialpolitischen Erlasse des Monarchen ohne die verfassungsmäßig vorgeschriebene Gegenzeichnung des Reichskanzlers promulgiert wurden, jubelte

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