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Wilhelm II.

Wilhelm II.

Titel: Wilhelm II. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Egon II. Fürst zu Fürstenberg, der ihn auf seinem Schloß Donaueschingen im Schwarzwald mit den Leuchten des österreichischen Hochadels um Erzherzog Franz Ferdinand zusammenführen sollte. Hier weilte Wilhelm zur Fuchsjagd, als ihm die volle Tragweite der nächsten großen Katastrophe zum Bewußtsein kam.
Bülows Verrat am Kaiser: Die
Daily-Telegraph
-Krise (1908–1909)
    Am 28. Oktober 1908 erschien in der Londoner Zeitung
Daily Telegraph
mit ausdrücklicher Genehmigung Kaiser Wilhelms II. ein Interview, das er einem nicht näher benannten englischen «Diplomaten» gegeben hatte. Dieses unstaatsmännische Verhalten, sich mit einem Fremden über deutsche Politik ausgelassen zu haben, löste in Deutschland einen derartigen Entrüstungssturm aus, daß der Kaiser beinahe vom Thron gefegt worden wäre. Wie die überwiegende Mehrheit der Deutschen hielt die Baronin Spitzemberg das Interview für «das Beschämendste, Kläglichste, Indiskreteste und Bedenklichste, was der Kaiser bisher geleistet!» Die Stimmung in ganz Deutschland sei wie die nach einer verlorenen Schlacht. «Es liegt etwas so unmännlich Kindisches gerade in dieser Schwatzhaftigkeit, die man unter gewöhnlichen Sterblichen geradezu verächtlich findet.» Durch das Zeitungsinterview sah sich der Publizist Harden in seinen allerschlimmsten Befürchtungen bestätigt. In einem Brief an Holstein forderte er: «Um uns vor dem Hohn, der Lächerlichkeit reinzuwaschen, müssen wir Krieg führen, bald, oder die traurige Notwendigkeit des allerhöchsten Personenwechsels auf uns nehmen.» In zahlreichen Städten verlangte eine aufgebrachte Menge die Abdankung des Kaisers; in einer beispiellosen Debatte im Reichstag am 10. und 11. November 1908 geißelten die Abgeordneten aller Parteien das Persönliche Regiment Wilhelms II. Auf der Regierungsbank herrschte Ratlosigkeit. «Noch ein solcher Tag, und wir haben die Republik», erklärte der gänzlich «zusammengeklappte» künftige ReichskanzlerTheobald von Bethmann Hollweg nach den Tumulten im Parlament.
    Nur allmählich begriff Wilhelm selbst das Ausmaß der Verfassungskrise, die sein Interview ausgelöst hatte. Er befand sich zunächst als Gast des Erzherzogs Franz Ferdinand in Böhmen und dann auf der Fuchsjagd in Donaueschingen. Erst am 11. November 1908 setzten Fürst Fürstenberg, der Chef des Militärkabinetts, Dietrich Graf von Hülsen-Haeseler, und der Chef des Zivilkabinetts, Rudolf von Valentini, dem «völlig starren» Monarchen auseinander, wie tief die Entrüstung saß. «Tränen des Zornes und der Enttäuschung» stiegen ihm in die Augen. «Sagen Sie mir, was geht eigentlich vor? Was bedeutet dies alles?» fragte er verwirrt auf der Fahrt ins Jagdgelände. Er habe doch alles verfassungskonform mit dem Kanzler abgesprochen, ihm den Interviewtext mit dem Ersuchen zugeschickt, den Artikel
persönlich
zu überprüfen, ohne Hinzuschaltung des Auswärtigen Amtes. Er könne nicht begreifen, «wie seine guten Absichten so mißverstanden worden seien, und wie man seine Tätigkeit in der Politik so hart und abfällig beurteilen könne». Wie war es zu dieser schwersten Verfassungskrise der Regierung Wilhelms II. gekommen, und welche Rolle spielte dabei tatsächlich der Reichskanzler Bülow?
    Der «Novembersturm» des Jahres 1908 hatte sich schon lange zusammengebraut. Ein Jahr zuvor, am 11. November 1907, dem Tag, an dem in Berlin die neueste deutsche Flottennovelle bekanntgemacht wurde, trat Kaiser Wilhelm einen Staatsbesuch in London an. Schwer angeschlagen durch die Enthüllungen über die Homosexualität seiner engsten Freunde entschied er sich, in Highcliffe Castle an der englischen Südküste einen dreiwöchigen Erholungsurlaub einzulegen. In seinen Reden in London und Windsor und merkwürdigerweise auch schon in einem fingierten Interview in einer englischen Lokalzeitung suchte Wilhelm die Ängste der Engländer vor dem deutschen Flottenbau und etwaigen Eroberungsabsichten auf dem Festland zu zerstreuen. In Highcliffe setzte er seinem Gastgeber, Colonel Edward Stuart Wortley, erstmals jene «Beweise» seiner loyalen Haltung gegenüber England auseinander, die der gutgläubigeOberst ein Jahr darauf auf Wunsch Wilhelms in der Form eines Interviews im
Daily Telegraph
veröffentlichen ließ: Die deutsche Flotte werde nicht gegen England, sondern für den gemeinsamen Kampf gegen die «Gelbe Gefahr» – Japan und China – im Stillen Ozean gebaut; das deutsche Volk sei zwar mehrheitlich

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