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Wilhelm II.

Wilhelm II.

Titel: Wilhelm II. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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der Krone und der hinter ihr stehenden unverantwortlichen Einflüsse in dieser entscheidenden Hinsicht ungebrochen war.
    Seit dem Novembersturm hatte Wilhelm sieben Monate Zeit gehabt, um zu erwägen, wen er in das oberste Amt im Reich berufen sollte. Zeitweilig dachte er an seinen Generaladjutanten Loewenfeld, dann an den bayerischen Gesandten Graf Lerchenfeld, dann wieder an den Botschafter in Paris, Fürst Radolin. Im April 1909, auf der Reise nach Korfu, versprach er dem Grafen Anton Monts, dem Botschafter in Rom, ihn zum Nachfolger Bülows zu ernennen. Dies redete ihm der scheidende Bülow mit dem sonderbaren Argument wieder aus, in den kommenden Jahren würden «die Hauptschwierigkeiten in der inneren Politik» liegen, dafür wäre Bethmann Hollweg, der derzeitige Staatssekretär im Reichsamt des Inneren, geeigneter als ein Diplomat. Doch als Valentini am 3. Juli 1909 auf der
Hohenzollern
in Kiel Bethmann Hollweg in Vorschlag brachte, lehnte ihn der Kaiser mit der bezeichnenden Bemerkung ab: «Ich kenne ihn ganz genau, er ist ein überheblicher Schulmeister u. Dickschädel; ich kann mit ihm nicht arbeiten.» Der Kaiserin war Bethmann, den sie als «zu sehr philosophisch, weltfremd und spintelierend» bezeichnete, ebenfalls unsympathisch. Drei weitere Kandidaten, die Brüder August und Botho zu Eulenburg und der Statthalter in Elsaß-Lothringen, General Graf Wedel, lehnten den Reichskanzlerposten ab, worauf der preußische Finanzminister, Freiherr von Rheinbaben, ins Gespräch kam. Als sich Valentini am 7. Juli 1909 aber mit diesem Vorschlag auf der
Hohenzollern
meldete, war Wilhelm inzwischen auf den General Colmar Freiherrn von der Goltz gekommen –dessen Ernennung zum Reichskanzler faktisch den Krieg bedeutet hätte! Der Kaiser befahl den Chef des Zivilkabinetts, «sogleich mit dem Orientexpress nach Konstantinopel zu fahren!», um Goltz die Kanzlerschaft anzubieten. Während Valentini das Kursbuch studierte, rief ihn der Kammerdiener nochmals zum Kaiser. «Der hohe Herr hatte sich inzwischen zum Tennisspiel umgekleidet und empfing mich zwischen Tür und Angel: er habe sich die Sache nochmals überlegt; er könne es den Türken nicht antun, ihnen jetzt den General, der dort eine wichtige Mission zu erfüllen habe, fortzunehmen; er sei mit Bethmann einverstanden, und ich solle nun alles Nötige schnell besorgen!» Nun konnte der Kaiser endlich seine Nordlandreise antreten. Am 14. Juli 1909 nahm der in dieser fastnachtsspielartigen Weise «erkorene» Bethmann Hollweg das dornenreiche höchste Staatsamt an. Dem in der Großen Politik vollkommen unerfahrenen fünften Kanzler des Deutschen Reiches sollte das Los beschieden sein, die Welt im Sommer 1914 in die Katastrophe des Großen Krieges zu stürzen.

V. Der streitsüchtige Kriegsherr (1908–1914)
Die Bosnische Annexionskrise (1908–1909)
    Das vertrauensselige Freundschaftsverhältnis, das Wilhelm II. nach dem Skandal um Eulenburg und den Liebenberger Kreis zum Fürsten Max Fürstenberg und dem österreichischen Hochadel um Erzherzog Franz Ferdinand suchte, sollte bald schwerwiegende politische Folgen zeitigen. Im Zuge der Jungtürkischen Revolution, die zur Empörung des Kaisers dem Sultan Abdulhamid II. im ganzen Osmanischen Reich eine Verfassung nach britischem Muster aufzwang, erklärte am 5. Oktober 1908 der österreichische Außenminister Aehrenthal die formale Annexion der Provinzen Bosnien und der Herzegowina, die seit 1878 von Wien aus verwaltet worden waren. Diese Entwicklung bedeutete einen herben Rückschlag für die schwindelerregendeAmbition des Kaisers, die zunehmende Isolierung des Deutschen Reiches durch die Gewinnung der ganzen mohammedanischen Welt wettzumachen. Noch 1905 hatte er erklärt: «Bei den jetzt so gespannten Verhältnissen, wo wir fast allein, sich bildenden großen, gegen uns gerichteten Coalitionen gegenüberstehen, ist unser
letzter Trumpf
der
Islam
und die
Muhamedanische Welt
.» Durch den Aufstand der jungtürkischen Offiziere, die er zunächst als «Sklaven Englands» einschätzte, sah er seine «20jährige mühsam aufgebaute türkische Politik in die Binsen» gehen. «Damit sind wir endgültig aus dem Orient hinausgeschmissen und können dort abtreten», klagte er im Oktober 1908.
    Zu dem waghalsigen Vorhaben, durch die Einverleibung der beiden türkischen Provinzen Bosnien und Herzegowina die Vormachtstellung des Habsburger Reiches auf dem Balkan auf Kosten der russischen Interessen dauerhaft zu sichern,

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