Wilhelm II.
zwischen ihrem Ehemann und Eulenburg wurde. Als sie auf Scheidung drängte und mit ihren Beobachtungen an die Öffentlichkeit zu gehen drohte, entkam sie nur mit knapper Not der Zwangseinweisung in eine Irrenanstalt. Ihre Erfahrungen teilte sie dem Gesellschaftsarzt Ernst Schweninger mit, zu dessen Patienten Fürst Bismarck, eine Schwester des Kaisers und auch der Publizist Maximilian Harden zählten. Als dieser im November 1906 in seiner Zeitschrift
Die Zukunft
seine Pressekampagne gegen die «Liebenberger Tafelrunde» eröffnete, war die homosexuelle Orientierung Eulenburgs und Moltkes längst kein Geheimnis mehr.
Bereits 1902 hatte Eulenburg aus Angst vor Enthüllungen seinen Botschafter posten aufgegeben und sich vom Kaiser fernhalten müssen, aber er bewegte sich fortan auf Glatteis. Im April 1906 äußerte sich der inzwischen entlassene Holstein erstaunt darüber, «daß jemand, der so viel Dreck am Stecken hat wie Philipp Eulenburg, bei dem man die Seite des Angriffs beliebig wählen kann», selbst mit Enthüllungen drohe. «Aber solche Naturen haben manchmal Momente hysterischer Überreizung.» Man reibt sich die Augen: Der halbblinde Holstein forderte den besten Freund des Kaisers zum Duell mit einem Beleidigungsschreiben auf, das an Deutlichkeit wenig zu wünschen übrig ließ: «Mein Phili! Dieser Anruf ist kein Zeichen von Hochschätzung, denn ‹Phili› bedeutet heute unter den Zeitgenossen – nichts Gutes.» Durch Vermittlung des württembergischen Gesandten Varnbüler, den Eulenburg zu seinem Sekundanten ernannt hatte, konnte «im Staatsinteresse» eine tödliche Schießerei gerade noch vermieden werden.
Als die Andeutungen in der
Zukunft
immer unmißverständlicher ausfielen und sich der junge Kronprinz Wilhelm schließlich am 2. Mai 1907 veranlaßt sah, seinem «fassungslosen» Vater, dem Kaiser, die Artikel vorzulegen, schrieb Harden an Holstein, seine Kontakte in der Schwulenszene behaupteten, «S. M. wisse von dieser Sache gar nichts, behandele sie wie ein Verbrechen und habe nie etwas von der großen ärztlichen Literatur darüber gehört». Kann das wirklich wahr sein? Soweit bekannt, hat Wilhelm II. nie homosexuelle Handlungen begangen, aber erhatte mit Eulenburg auf der Jagd das Zimmer geteilt, mit ihm und dem Hauptbelastungszeugen Jakob Ernst zusammen auf dem Starnberger See gerudert, Eulenburgs Bild in seiner Kajüte aufgestellt. Ist es glaubwürdig, daß der Kaiser, der im Liebenberger Freundeskreis «das Liebchen» genannt wurde, überhaupt erst in diesem Augenblick von der gleichgeschlechtlichen Orientierung seiner engsten Freunde erfahren hat? Eulenburg brüstete sich vor Gericht, er habe «vor Seiner Majestät weder privat noch sonst irgendwelche Geheimnisse» gehabt, und diese Vertrauensseligkeit beruhte durchaus auf Gegenseitigkeit. In einem «peinlichen Herzenserguß» weinte sich der Kaiser bei Eulenburg über die Kaiserin mit den Worten aus: «Was soll ich tun? Diese Krisen und Szenen machen Mich tot. Ich kann es nicht aushalten.» Kamen in solchen Momenten die Herzensangelegenheiten der Liebenberger Freunde nicht auch zur Sprache? Als Varnbüler 1898 durch Eulenburg von der Ehekatastrophe des gemeinsamen Freundes Kuno Moltke erfuhr, beeilte er sich, diesem zu versichern, daß auch Wilhelm II. volles Verständnis für seine Probleme haben würde. «Und auch der Eine, mein Dachs – ich täusche mich wohl nicht, daß es eine Verschärfung Deines Schmerzes ist, ihm, dem Liebchen, all’ dieses Häßliche nicht verbergen, fernhalten zu können. Aber quäl’ Dich darum nicht unnötig – er ist Mannes genug, mißgünstigem Klatsch Schweigen zu gebieten – und kennt und liebt Dich in Deiner Eigenart, um auch nur den Schatten einer Schuld auf Dich fallen zu lassen.»
Der homoerotische Charakter dieses Männerbundes ist unübersehbar, die Zuneigung Wilhelms II. zu den Liebenbergern, so möchten wir meinen, war aber nicht primär eine sexuelle. In diesem vielseitigen Kreis um Eulenburg fand er künstlerisches Talent, ungehemmte Heiterkeit und kindische Gauklerei, spiritistischen Hokuspokus und scheinbar selbstlosen Rat in den endlosen politischen Krisen, die ihn oft überforderten. Vor allem aber fand Wilhelm in der Freundschaft des sanften Eulenburg jene bedingungslose Liebe und Bewunderung, die ihm in der Kindheit vorenthalten worden war. Genau diese «byzantinische» Anhimmelung des Monarchen prangerte Harden an.
Auch wenn sein Ton im Verlauf der Prozeßserie immer
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