Wilhelm II.
hatten Bülow und der Außenstaatssekretär von Schoen Aehrenthal ihre ausdrückliche Billigung zugesichert. Der Kaiser hingegen wurde von dem Coup, durch den er in einen Loyalitätskonflikt zwischen Wien und Konstantinopel geriet, überrascht und meinte, er sei «persönlich auf das tiefste in meinen Gefühlen als Bundesgenosse verletzt, daß ich nicht im Geringsten vorher von S. M. [Kaiser Franz Joseph] in’s Vertrauen gezogen wurde!» In einem Gespräch im Garten des Reichskanzlerpalais gelang es Bülow dann aber am 12. Oktober 1908 doch, den Kaiser umzustimmen. Fortan war Wilhelm Feuer und Flamme für den Vorstoß seines Bundesgenossen und schoß in seinem Eifer wie gewohnt noch über das Ziel hinaus. Als sich die Möglichkeit eines Krieges zwischen Österreich-Ungarn und Serbien abzeichnete, rief er aus: «Wenn es doch erst Losginge!» Dabei war ihm die Gefahr, daß Deutschland durch den Balkankonflikt in einen Krieg gegen Rußland und Frankreich hineingezogen werden könnte, durchaus bewußt.
Dreizehn Jahre zuvor, im November 1895, hatte Wilhelm II. dem österreich-ungarischen Botschafter Graf Szögyény «klipp und klar» zugesichert, daß er, «ohne weiter zu untersuchen, ob laut unseres Allianzvertrags der casus foederis [der Bündnisfall]vorliege – mit der ganzen mir zur Verfügung stehenden Wehrmacht an Österreich-Ungarns Seite stehen werde. […] Ihr Allergnädigster Herr kann dessen ganz sicher sein, daß, sobald es sich um die Machtstellung der österreich-ungarischen Monarchie überhaupt handelt, […] meine gesamte Kriegsmacht unbedingt zu Seiner Verfügung stehen wird.» Dieses fatale Versprechen, das die Entscheidung über Krieg und Frieden den Wiener Staatsmännern überließ, wiederholte Kaiser Wilhelm nun «in der entschiedensten Weise», als er Szögyény am 21. Oktober 1908 begegnete. Kaiser Franz Joseph sei ja «preußischer Feldmarschall, und demzufolge habe er nur zu befehlen, die ganze preußische Armee werde seinem Kommando folgen». In atemberaubender Weise nahm Wilhelm mit solcher Nibelungentreue den berüchtigten «Blankoscheck» vorweg, den er am 5. Juli 1914 (ausgerechnet wieder Szögyény) überreichen sollte. Der Vergleich ist um so unheimlicher, als Wilhelm gerade in diesen Tagen im Herbst 1908 mit dem österreichischen Diplomaten Graf Alexander Hoyos zusammentraf, der Anfang Juli 1914 mit dem Handschreiben Franz Josephs nach Berlin reisen sollte, in dem der Habsburger um die deutsche Unterstützung in einem eventuellen Krieg gegen Rußland bat.
Eine Woche nach der an Szögyény gegebenen Zusicherung vom 21. Oktober 1908 brach die
Daily-Telegraph
-Krise aus, doch auch im Zuge des «Novembersturms» fuhr Wilhelm II. fort, seine treue Haltung Österreich-Ungarn gegenüber zu versichern. Nach seinem Aufenthalt in Donaueschingen schrieb Wilhelm seinem Freund Max Fürstenberg: «Ja Oesterreich kann sich auf mich verlassen ich halte zu Euch durch dick und dünn!» Vom militärischen Standpunkt, so meinte er Mitte Dezember 1908, wäre dies ohnehin «für uns jetzt der beste Moment mit den Russen abzurechnen». Deutschland müsse «unbedingt ja Prävenire spielen wie einst Friedr[ich] d[er] Große.» Noch zum Jahresende schrieb Wilhelm dem österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand, er halte sein Pulver trocken und sei auf der Wacht. «Daß Ihr auf uns zählen könnt weißt Du, und ob unsere Armee was taugt, kannst Du am Besten beurtheilen.» Solche Zusicherungen des Kaisers waren um so bedenklicher, als auchGeneralstabschef von Moltke seinem österreichischen Kollegen Franz Conrad von Hötzendorf auseinandersetzte, «daß erst der Einmarsch Österreichs in Serbien ein eventuelles aktives Einschreiten Rußlands auslösen könnte. Mit diesem würde der casus foederis für Deutschland gegeben sein», das den Krieg voraussichtlich mit einem Angriff auf Frankreich im Westen würde einleiten müssen.
Wieder in gespenstischer Vorwegnahme dessen, wie sich das Räderwerk der Allianzen in Bewegung setzte, das im Juli 1914 von einem Balkankonflikt zu einem Weltkrieg führen sollte, überlegten sich Wilhelm II. und sein Generalstabschef Moltke im Februar 1909 detailgenau, wie Frankreich bei drohender Kriegsgefahr zu behandeln sei, um Klarheit für die deutsche Armee zu gewinnen. In einer Schlußbemerkung zu einem Bericht Tschirschkys aus Wien ordnete Kaiser Wilhelm am 24. Februar 1909 an: «Es muß Frankreich gegenüber klar gemacht werden, daß im Falle des Einschreitens
Weitere Kostenlose Bücher