Wilhelm II.
Russlands gegen Oesterreich, unverzüglich bei uns sofort
casus foederis
eintritt, d[as] h[eißt] Mobilmachung. Frankreich muß zu bündiger, klarer Erklärung veranlaßt werden, daß es in diesem Falle
nicht
überhaupt
gegen uns Krieg macht
. Weder zu Anfang des Krieges noch später. Eine Neutralitätserklärung genügt nicht. Verweigert Frankreich diese Erklärung, so ist das als casus belli von uns aufzufassen und dem Reichstage wie der Welt mitzutheilen, daß Frankreich trotz unserer Aufforderung den einzig möglichen Weg zur Erhaltung des Europ[äischen] Friedens gemeinsam mit uns zu beschreiten, abgelehnt hat, daher den
Krieg gewollt
hat. Diese Klärung, in dieser Form, ist nöthig, damit wir unsere Mobilmachung zunächst gegen Frankreich ausnutzen und es abthun. Auf keinen Fall kann sich die Armee auf eine Situation einlassen, bei der sie mit Rußland zur Hälfte engagirt, zur Hälfte als Deckung gegen ein unsicheres Frankreich steht. Wir müssen alles gegen Westen oder alles gegen Osten einsetzen.»
1909 wurde ein großer Krieg nur durch das Einlenken des von der Niederlage gegen Japan und der Revolution noch erschütterten Zarenreiches vermieden. An der Kriegsbereitschaft Wilhelms II. während der ganzen Bosnischen Annexionskrise istaber nicht zu zweifeln. Im Gegenteil, bis zuletzt setzte sich der Kaiser mit Zurufen wie «Nun vorwärts und Einrücken» oder «Na dann rücke er doch ein!» begeistert für einen österreichischen Angriff auf Serbien ein. Nach dem Zurückweichen Rußlands zog Wilhelm den fatalen Schluß, daß der Erfolg ein Beweis für die Richtigkeit des festen Zusammengehens Deutschlands mit Österreich-Ungarn, ja sogar «eine wundervolle Probe auf den Ernstfall» sei. Nicht zuletzt gewann Wilhelm aus der Demütigung Rußlands in dieser Krise die schicksalsschwangere Überzeugung, daß Großbritannien in einem europäischen Krieg, der aus einem Balkankonflikt hervorging, nicht würde eingreifen wollen oder können.
So unübersehbar die Ähnlichkeiten der beiden Krisen auch waren, es wäre verfehlt, trotz dem Vorbildcharakter, den Wilhelm dem deutsch-österreichischen Schulterschluß von 1908/09 andichtete, einen direkten kausalen Zusammenhang zwischen der Bosnischen Annexionskrise und der Julikrise 1914 zu konstruieren. Die deutsche Bereitschaft, an der Seite seines Bündnispartners gegen Rußland und Frankreich in den Krieg zu ziehen, war zweifellos gegeben, aber der Wille, einen solchen Krieg herbeizuführen, fehlte 1908/09 in Berlin noch. Dieser entwickelte sich erst nach weiteren schweren Zusammenstößen mit den beiden Westmächten unter Bülows Nachfolger Bethmann Hollweg und dem neuen Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Alfred von Kiderlen-Wächter.
Der «Panthersprung» nach Agadir (1911)
Mit dem Tod seines Onkels König Edward VII. am 6. Mai 1910 schöpfte Wilhelm II. wieder Hoffnung auf eine Annäherung zwischen Deutschland und Großbritannien, durch die das Deutsche Reich endlich zu der ihr von der «Vorsehung» zugedachten Weltstellung würde gelangen können. Dem US-Botschafter setzte er seine vom Rassismus geprägte Zukunftsvision auseinander: Die Engländer, behauptete er, seien schon auf dem absteigenden Ast, sein Reich auf dem Vormarsch. «Wir wollen weder ihre Kolonien noch die Herrschaft über die See, wir wollen nur, daß unsere Rechte anerkannt werden. Deutschland istfast so reich wie England. […] Was wir wollen, ist eine gleiche Chance. Sie haben versucht, uns als Bedrohung Europas hinzustellen, aber wir haben niemanden bedroht. Sie haben versucht, Europa gegen uns aufzustellen, aber ihre Entente lockert sich. So wie die Lateiner haben sie ihre Glanzzeit überschritten. Ich glaube nicht, daß die Slawen die Führer der Zukunft sind. Die Vorsehung hat Pläne, und es wäre kein Kompliment für die Vorsehung zu denken, daß die Vorsehung die Slawen und nicht die germanische Rasse als Rasse der Zukunft betrachtet. Nein, es ist die germanische Rasse, – wir hier in Deutschland, die Engländer, die Amerikaner, – die die Zivilisation der Welt führen müssen.» Dem amerikanischen Ex-Präsidenten Theodore Roosevelt gegenüber, der zu Besuch in Deutschland war, schwärmte er von einem «Zusammengehen der Germanisch-Angelsächsischen Länder». «Die vereinigte germanische & angelsächsische Rasse wird die Welt in Ordnung halten!» schrieb er ihm begeistert.
Die hochgestochenen Aspirationen Wilhelms II. stießen nicht nur bei den Amerikanern auf Skepsis, sie
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