Wilhelm II.
ausschlaggebenden Einfluß aus. Ja, formal funktionierte der Königsmechanismus der Persönlichen Monarchie bis zum Zusammenbruch im November 1918 weiter und nötigte den Kaiser, so schwer es ihm auch fiel, in allen wichtigen Entscheidungen des Krieges das letzte Wort zu sprechen. Dabei nahm der Einfluß der drei Kabinettschefs, auf deren Rat Wilhelm angewiesen war, im Kriege noch weiter zu.
Bei der Ersetzung des glücklosen Generalstabschefs von Moltke durch Erich von Falkenhayn im September 1914 spielte der Chef des Militärkabinetts, Moriz von Lyncker, die entscheidende Rolle. Nach der verlorenen Marneschlacht erlitt Moltke von neuem einen Nervenkollaps, der seine sofortige Absetzung unausweichlich machte. Auf Drängen Lynckers ernannte Wilhelm den preußischen Kriegsminister Falkenhayn zusätzlich zum Generalstabschef. Er hielt auch trotz aller Kritik und Intrigen an Falkenhayn fest, bis dessen Ersetzung durch das mächtige Heldenduo Hindenburg – Ludendorff im Sommer 1916 nicht mehr zu umgehen war.
Sehr zum Leidwesen von Tirpitz übte der Kaiser in der Seekriegführung, in diesem Fall beraten durch seinen Marinekabinettschef Georg von Müller, seine Befehlsgewalt als Oberster Kriegsherr direkt aus. Er verweigerte dem Großadmiral die Erlaubnis, mit der Hochseeflotte die große Schlacht in der Nordsee zu suchen, und dekretierte peremptorisch: «Er habe befohlen, die Flotte solle drin bleiben, dabei bleibe es.» Immer brenzliger gestaltete sich für den Kaiser die Entscheidung über die Führung des U-Boot-Krieges, zumal nach der Versenkung des englischen Passagierdampfers
Lusitania
im Mai 1915, bei der fast 1200 Personen, darunter zahlreiche Amerikaner, ums Leben kamen. Unter Zustimmung des Reichskanzlers, Müllersund Falkenhayns, die alles vermeiden wollten, was den Kriegseintritt der USA provozieren könnte, befahl der Kaiser, Passagierschiffe fortan von den Angriffen auszunehmen. Daraufhin reichte Tirpitz seinen Abschied ein. «Nein! Bleiben und gehorchen!» verfügte Wilhelm empört. Er könne «im Kriege nicht gestatten, auf Grund von Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Verwendung der Seestreitkräfte, über die Ich als Oberster Kriegsherr in letzter Linie und mit vollem Bewußtsein meiner Verantwortung entscheide, seinen Abschied zu erbitten». «Ich habe die Flotte mir geschaffen und ausgebildet, wie, wo und wann ich sie zu verwenden gedenke, ist ganz allein meine, des Obersten Kriegsherrn, Sache.» Tirpitz blieb im Amt und setzte seine Kampagne für den uneingeschränkten Einsatz von U-Booten fort. Der Kaiser lavierte hin und her und klagte, er stehe vor dem schwersten Entschluß seines Lebens. Widerstrebend entließ er Tirpitz im März 1916, als dieser abermals seinen Abschied einreichte. Nach der Berufung der 3. Obersten Heeresleitung unter Hindenburg und Ludendorff verstärkte sich der Druck zugunsten des uneingeschränkten U-Boot-Krieges. Am 8. Januar 1917 erklärte sich der Kaiser plötzlich und sehr entschieden für den rücksichtslosen Einsatz von U-Booten, sogar dann, wenn Bethmann zurücktreten sollte. Der U-Boot-Krieg, so behauptete er auf einmal, sei «eine rein militärische Sache», die den Kanzler nichts anginge. «Die englischen Halunken müssen uns kommen. […] Bis dahin wird weitergedroschen und geschossen und Ubootgekriegt! Unsere Bedingungen sollen die Kerls schlucken!» Die Kriegserklärung der USA erfolgte prompt zwei Monate später.
Zusammenbruch und Flucht: Der Untergang der Hohenzollernmonarchie
Es entbehrt nicht der Ironie, daß Wilhelm, je bizarrer sich seine Weltherrschaftsphantasien gestalteten, in seinem eigenen Reich immer mehr zu einem hilflosen Schattenkaiser herabsank. Der Krieg machte eine grundlegende Reform der preußisch-deutschen Verfassung mit seinem antiquierten Dreiklassenwahlrecht, der freien Kanzler- und Ministerwahl der Krone und deruneingeschränkten Kommandogewalt des Obersten Kriegsherrn unumgänglich, doch Wilhelm II. stemmte sich entschieden gegen die Reformvorschläge Bethmann Hollwegs. Die Einführung des parlamentarischen Systems würde das Recht des Königs hindern, seine Minister nach Belieben auszuwählen und zu entlassen, und außerdem sei es schlicht «undenkbar», Sozialisten oder Zentrumsleute in das Ministerium aufzunehmen, bestimmte er noch im Juni 1917. Die Einführung des allgemeinen Wahlrechts in Preußen könne erst nach dem Kriege konzediert werden. So bedrohlich die Machtübernahme Hindenburgs und Ludendorffs für seine
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