Wilhelm II.
[Februar-]Revolution, diese die Vorbedingung für Lenin, dieser für Brest!» Genauso müsse jetzt im Westen vorgegangen werden. In dem kommenden «Siegfrieden» könnten «Völkerbeglückende Weltbürgerschaftsgedanken» keinen Platz finden. «Nur das nackte
eigene
Interesse und die Garantie
eigener Sicherheit
und Größe dürfen maßgebend sein.»
Natürlich richtete sich eine solche Neuordnung des Staatensystems grundsätzlich auch gegen Großbritannien und die bisher obwaltende
Pax Britannica
. Die gewaltsame Aufhebung des europäischen Gleichgewichts, die Besitzergreifung von Ärmelkanalhäfen von Antwerpen bis Boulogne, die Ansiedlung deutscher Veteranen als Bauern entlang der flandrischen Küste, die Erniedrigung Frankreichs zum Rang eines abhängigen Staates ohne Armee und ohne Kohle, der ganze Kontinent von der Atlantikküste bis zum Schwarzen Meer, von Finnland bis Malta, wirtschaftlich vereint in einem deutschen Mitteleuropa, deutsche Satellitenstaaten in einem Gürtel von Estland bis zum Kaukasus, eine Bahnlinie, die über Bagdad bis nach Ägypten und zum Persischen Golf führen sollte, deutsche Kriegsschiffe in Brest und Bordeaux, in Madeira, den Azoren und den Kapverdischen Inseln, der gesamte Kongo zusammen mit Togo, Kamerun, Ost- und Südwestafrika in deutscher Hand – in einer solchen Welt wäre das stolze Großbritannien zu einer unbedeutenden Insel im Atlantischen Ozean herabgesunken, stets bedroht von der kaiserlichen Hochseeflotte und den U-Booten mit freiem Zugang zu den Weltmeeren. Fern davon, ein «falscher Krieg» zu sein, war der Erste Weltkrieg nicht weniger als der Zweite für die Engländer ein Existenzkampf, in dem es um alles oder nichts ging.
Mit dem Ausbleiben des erhofften Durchbruchs im Westen kam Wilhelm II. auf die Idee, eine Niederringung Englands und die ersehnte Umwälzung der Weltordnung würde erst in einem«zweiten Punischen Krieg» zu erreichen sein. Im September 1917 setzte er dem verblüfften Reichskanzler Georg Michaelis auseinander: «Ich kenne England und die Engländer besser als meine Landsleute zumal meine Beamten, zumal das Ausw[ärtige] Amt! Wenn Ew. Exz. Herren Vorgänger im Amte meinen Rathschlägen und Anregungen besser gefolgt wären, statt ihren Continentalpolitiktheorien zu folgen und mich nicht anzuhören, wäre die Behandlung der Kerls eine andere gewesen und vieles anders gekommen! Ew. Exz. wollen sich
klar machen:
England ist unser erbitterter, geschworener Haß- und Neiderfüllter
Concurrent
, hat als solches sicher auf Gewinnen der Parthie spekuliert; verliert er sie, so wird der Haß nur größer; und der Kampf geht wirtschaftlich
schonungslos weiter, nach dem Frieden
, der für England eine auch nach außen erkennbare Niederlage werden muß. […] England hat den I Punischen Krieg – so Gott will –
nicht gewonnen
also
verloren; wir
haben es aber
nicht bezwungen
und scheinen es auch nicht zu können im Augenblick. Also wird der II Punische Krieg – hoffentlich unter besseren Alliiertenbedingungen und Chancen – unbedingt
sofort
vorbereitet werden müssen.
Denn er kommt
. Ehe einer von uns beiden nicht
allein
oben ist, giebt es keinen Frieden in der Welt!
Condominium
gestattet
Großbritannien nicht;
also muß es hinausgeschmissen werden. Es ist dasselbe wie ’66 mit Österreich; was die Vorbedingung für ’70 war! […] So ist es mit England in der Welt auch.
Um das
ordentlich niederringen zu können, müssen jetzt im Frieden unbedingt milit. und
marine
politisch die Vorbedingungen geschaffen werden.»
Die Hilflosigkeit des Obersten Kriegsherrn im Kriege
Zwar hielt sich Wilhelm während des Krieges vorwiegend im Großen Hauptquartier auf, doch von einem Mitwirken an den militärischen Operationen kann keine Rede sein. Er war zu Untätigkeit verurteilt, wurde – um ihn zu schonen – von seiner Umgebung nur ungenügend über das Kriegsgeschehen informiert. Er litt an starken Gemütsschwankungen, brauchte Ablenkung, blieb fern von der Hauptstadt und unternahm nicht einmal den Versuch, wenigstens symbolisch die Leiden seinesVolkes mitzutragen. So zeichnete sich bereits in den ersten Kriegsmonaten der Untergang der Hohenzollernmonarchie ab. Trotz alledem sollte die Rolle, die Wilhelm II. wenigstens anfänglich im Ersten Weltkrieg spielte, nicht unterschätzt werden. Bis zur Berufung der 3. Obersten Heeresleitung unter Hindenburg und Ludendorff im August 1916 übte er sowohl in der Personalpolitik als auch in der Seekriegführung einen
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