Will Trent 01 - Verstummt
Das andere, was ihm auffiel, war der Geruch. Er brauchte einen Moment, bis er begriff, dass der Geruch von seinem eigenen Körper kam. Es war der Geruch der Angst.
»Sie haben umgestellt.« Ms. Lam hängte ihre Handtasche an den Türknauf, damit sie beide Hände frei hatte. »Gefällt mir.« Sie fing an, seine Kleidung zu durchsuchen, aber John konnte nur das Bett anstarren, das schräg aus der Ecke herausragte und nicht mehr flach an der Wand stand, so wie er es hingestellt hatte.
Der Einbrecher wollte John wissen lassen, dass er hier gewesen war.
Ms. Lam hob den Deckel von der Kühlbox und schaute hinein. Sie sagte: »Heute sind die Ergebnisse Ihres Urintests gekommen.«
John konnte nicht antworten. Das Foto seiner Mutter war verändert. Jemand hatte es in der Mitte durchgerissen und John entfernt.
»John?«
Er fuhr mit dem Kopf herum und sah sie an.
»Der Test war okay«, sagte sie und deutete dann zum Bett. »Wollen Sie die für mich hochheben?«
Er bückte sich, um die Matratze anzuheben. Seine Fingerspitzen berührten etwas Hartes und Kaltes.
John erstarrte, eine Hand unter, die andere auf der Matratze.
»John?«, fragte Ms. Lam. Sie klatschte in die Hände, um ihn anzutreiben. »Na los, Süßer. Ich habe nicht den ganzen Abend Zeit.«
Speichel tropfte ihm aus dem Mund. Seine Brust zog sich zusammen. Er fing an zu zittern.
»John?« Ms. Lam trat neben ihn, legte ihm die Hand auf den Rücken. »Kommen Sie, Cowboy. Was ist denn los?«
»Sch-schlecht«, murmelte er und zitterte am ganzen Körper. Er spürte einen Drang in seinem Darm und hatte eine Heidenangst, sich gleich in die Hose zu machen.
»Jetzt setzen Sie sich erst mal«, sagte sie beruhigend und half ihm aufs Bett. Sie drückte ihm den Handrücken an die Stirn. »Fühlt sich ja ganz klamm an. Sie werden mir doch nicht krank werden, Junge?«
»Ich bin...« John konnte keinen ganzen Satz bilden. »Ich bin...« Er starrte auf das offene Fenster, die fünfzehn Zentimetern zwischen Schiebeteil und Rahmen.
»Wollen Sie einen Schluck Wasser?«
Er nickte, eine schnelle Aufundabbewegung seines Kopfes.
»Ich habe eine Flasche in meiner Handtasche.«
Sie wandte ihm den Rücken zu, um ihre Handtasche vom Türknauf zu holen. In einer verzweifelten Bewegung zog John das Messer unter der Matratze hervor und warf es in Richtung Fensterspalt.
Wie in Zeitlupe wandte Ms. Lam sich wieder zu ihm. Er hielt den Atem an. Aus dem Augenwinkel heraus sah er Metall aufblitzen, als das Klappmesser auf das Fenster zusegelte.
Instinktiv hustete er, beugte sich vor und hoffte so, das Geräusch zu übertönen, falls das Messer den Fensterrahmen traf und wieder ins Zimmer fiel.
»Hier«, sagte Ms. Lam und drehte den Flaschenverschluss auf. »Nehmen Sie ein paar Schlucke.«
John tat es, und während er sich danach den Mund abwischte, blickte er verstohlen auf den Teppich unter dem Fenster. Dort war nichts.
»Schon besser, nicht?«, fragte Ms. Lam und klopfte ihm auf den Rücken. »War wohl nur ein kleiner Durchhänger, was?« Er nickte, antworten konnte er nicht.
»Jetzt wollen wir aber unter die Matratze schauen.« Sie schüttelte den Kopf, als er ihr die Flasche zurückgeben wollte. »Behalten Sie sie ruhig. Ich habe noch genügend im Auto.«
Als John aufstand, zitterten seine Knie noch immer. Er sah noch einmal zum Fenster, zu dem Stück Teppich darunter. Das Messer musste zum Fenster hinausgeflogen sein. Es gab keine andere Erklärung.
Als John die Matratze an die Wand gelehnt hatte, verlangte Ms. Lam: »Den Lattenrost auch.«
Diesmal krabbelte keine Kakerlake unter dem Bett hervor, aber der Teppich war noch immer dreckverkrustet. John war so nervös wegen des Messers, dass er weiche Knie bekam.
»Dann kippen Sie mal alles wieder zurück.« Sie blätterte in den Büchern auf dem Pappkarton neben dem Bett. Falls sie das zerrissene Foto seiner Mutter bemerkte, erwähnte sie es nicht. »Sie haben Ihr Buch ausgelesen? Tess von den d'Urbervilles?«
»Äh«, machte John, überrascht von der Frage. »Ja, Ma'am.«
»Dann sagen Sie mir, John, wer hat Tess' Baby getauft?«
Er starrte ihre perfekt geschminkten Wimpern an. Sie zwinkerte. »John?«
Es war eine Fangfrage. Sie wollte ihn austricksen. »Tess hat es getan«, antwortete er schließlich, und obwohl er wusste, dass es stimmte, hatte er eine Heidenangst davor, das Falsche gesagt zu haben. »Der Priester wollte es nicht tun, deshalb hat sie es selbst getan.«
»Gut.« Sie lächelte und schaute sich dann
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