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Will Trent 01 - Verstummt

Will Trent 01 - Verstummt

Titel: Will Trent 01 - Verstummt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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der Fahrer die Tür schon wieder schließen wollte.
    Er fiel fast auf den Bürgersteig. Sein Körper fühlte sich an, als hätte man seine Muskeln mit einem Presslufthammer bearbeitet. Art hatte nach einem Freiwilligen für Überstunden gefragt, und John hatte sich gern gemeldet, weil er lieber Ablenkung hatte, als an Joyce zu denken und an das Schlamassel, in das er sich gebracht hatte. Er konnte nicht einmal die Augen schließen, ohne das kleine blonde Mädchen in Michaels Hinterhof zu denken. Letzte Nacht hatte er so gezittert, dass er davon aufgewacht war. Seine Haut war schweißnass gewesen, und er hatte angefangen zu flennen wie ein Kind, hatte sich geschaukelt, bis er schließlich wieder in einen unruhigen Schlaf fiel.
    Arts Überstundenauftrag war die Art von Scheißarbeit, die man seinem schlimmsten Feind nicht wünscht: eine Verstopfung im Hauptbehälter des Staubsaugersystems entfernen. Der Tank war unterirdisch und offensichtlich so ausgelegt, dass er einige Millionen Liter an Teppichflusen, Cheerios und anderen Sachen aufnehmen konnte, die rochen wie sauer gewordene Bonbons - den ganzen Dreck, den sie aus den Autos saugten, bevor sie sie durch die Waschanlage schickten. John hatte kaum durch die Öffnung gepasst, und als er dann drin war, schätzte er den Tank vielleicht auf dreieinhalb mal zweieinhalb Meter Größe, was ihn mehr an einen Sarg erinnerte, als ihm lieb war.
    Art hatte ihm eine Taschenlampe und ein paar Gummihandschuhe gegeben. Die Handschuhe klebten aneinander, bevor die Einlassöffnung freigelegt war. John steckte die bloße Hand in die schmuddelige Röhre und zog etwas heraus, das sich anfühlte wie ein dickes Knäuel menschlicher Haare. Er dachte an die Hautschuppen und den Rotz, den ein menschlicher Körper jeden Tag absonderte, und sein Bananensandwich kam ihm hoch, bevor er es zurück an die frische Luft schaffte.
    »Was für ein Held!«, hatte Art ihn danach gelobt. Nachdem der Blick des Mannes kurz auf sein aschfahles Gesicht und das Erbrochene auf seinem T-Shirt gefallen war, hatte er ihm einen Fünfziger in die Hand gedrückt. Fünfzig Dollar für weniger als zwei Stunden Arbeit. John wäre in seine eigene Kotze zurückgekrochen, wenn Art ihm noch einmal fünfzig angeboten hätte.
    Die frische Luft tat ihm gut, als er zu seinem Zimmer in der Absteige ging. Hier hatte die Straße immer einen Geruch, egal, was für ein Wetter herrschte oder welche Tageszeit es war. Für John war es der Geruch der Armut. Seine Lunge saugte ihn wahrscheinlich auf, und in ihren Bläschen blieben die Karzinogene hängen, so wie die Haare in dem Saugertank.
    »Hey, Cowboy.«
    Als John den Kopf hob, sah er Martha Lam auf dem Vordertreppchen des Hauses sitzen. Sie war von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet und ihr Make-up noch dicker aufgetragen als sonst. Am liebsten hätte er seine Bewährungshelferin etwas Freches gefragt, etwa, ob ihr Verehrer sie sitzengelassen habe, stattdessen aber sagte er: »Hallo, Ms. Lam.«
    Sie stand auf, streckte die Arme aus und drehte sich einmal im Kreis. »Hab mich extra fein gemacht für Ihre unangekündigte Inspektion.«
    Er wusste nicht, was er sagen sollte. »Sieht gut aus«, klang zu forsch, man könnte es auch als flirtend interpretieren.
    So sagte er nur: »Ja, Ma'am«, öffnete die Tür und trat beiseite, damit sie als Erste hineingehen konnte.
    »Habe Mr. George heute Morgen wieder in den Knast verfrachtet«, erzählte sie ihm. »Wen?«
    »Ihren Kumpel von oben.«
    John wusste erst nicht, wen sie meinte. Dann fiel es ihm wieder ein. »Er ist nicht mein Kumpel«, entgegnete er. Sie warf ihm einen Blick zu, der besagte, dass er besser auf seine Tonart achten solle. »Entschuldigung«, sagte er. »Es war ein langer Tag. Ich habe Sie hier nicht erwartet.«
    »Deshalb heißen sie ja >unangekündigt<.«
    Bis zu seiner Etage waren es dreizehn Stufen, und John hatte das Gefühl, als müsste er sich jede einzelne hinaufschleppen. Tatsächlich hatte er nicht mehr richtig geschlafen, seit er Michael vor zwei Tagen zu den Grady Homes gefolgt war und herausgefunden hatte, was sein Cousin trieb. Die entsetzten Schreie der schwarzen Frau hallten ihm immer noch durch den Kopf. John erinnerten sie an seine Schreie, als Zebra in dieser ersten Nacht im Coastal über ihn herfiel. Sie klangen beinahe identisch.
    John entriegelte die Tür und stieß sie auf. Sofort bemerkte er, dass das Fenster etwa fünfzehn Zentimeter hochgeschoben und das Packpapier am unteren Rand zerrissen war.

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